Syrien-Helfer sollen Gemeinnützigkeit verlieren – von Matthias Meisner

Article  •  Publié sur Souria Houria le 16 avril 2014

Im Camp Yarmouk im Süden von Damaskus. Auch hier engagiert sich "Adopt a Revolution" - FOTO: REUTERS

Seit drei Jahren tobt in Syrien ein Bürgerkrieg – die Initiative « Adopt a Revolution » versucht, gegen viele Widrigkeiten die Zivilgesellschaft in dem Land zu stärken. Jetzt aber droht dem Verein die Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Der Vorwurf: Er sei zu politisch.

Mehr als 140.000 Tote sind im syrischen Bürgerkrieg in den vergangenen drei Jahren ums Leben gekommen. Hilfe ist schwierig –die von dem Politikwissenschaftler Elias Perabo 2011 gegründete Initiative « Adopt a Revolution » versucht es dennoch. Jetzt aber droht deren Trägerverein « About:Change » mit Sitz in Leipzig die Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Mit unabsehbaren Folgen: Möglicherweise werden hohe Rückzahlungen an die Finanzbehörden fällig, auch könnte das Spendenvolumen drastisch zurückgehen.

Förderer des Vereins erhielten jetzt eine Email, wonach das Finanzamt in Leipzig dem Verein « About:Change » rückwirkend seit 2011 die Gemeinnützigkeit aberkennen wolle. « Der Vorwurf: Unsere Arbeit würde ausschließlich einem politischen Zweck dienen und sei deswegen nicht gemeinnützig. » Perabo bestätigte die « Turbulenzen mit dem Finanzamt » auf Anfrage, wollte den Vorgang aber unter Hinweis auf das laufende Verfahren nicht weiter kommentieren. 2013 hatte der Verein rund 250.000 Euro Spenden eingenommen.

Das zuständige Leipziger Finanzamt I erklärte am Donnerstag unter Hinweis auf das Steuergeheimnis, zum konkreten Fall keine Auskunft geben zu können. Anselm Breuer, Vertreter des Vorstehers bei der Behörde, wies allerdings darauf hin, das Vereine nur unter bestimmten Voraussetzungen von der Körperschaftssteuer befreit seien – wenn sie laut Satzung und auch tatsächlich ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen. « Politische Zwecke gehören grundsätzlich nicht zu den gemeinnützigen Zwecken.

Für « Adopt a Revolution » gab es in der Vergangenheit viel Lob – von Syrien-Experten, in der Region tätigen Journalisten, auch von Politikern aller Bundestagsparteien. Die Initiative unterstützt derzeit laut Jahresbericht 2013 im ganzen Land 16 Projekte, zum Beispiel eine Alternative Stadtverwaltung in Daraa, das vom Assad-Regime abgeriegelte Camp Yarmouk im Süden von Damaskus, ein Komitee für Flüchtlinge und Bedürftige in Hassakah im kurdisch geprägten Nordosten des Landes sowie zum Beispiel auch ein satirisches Puppentheater, das Baschar al-Assad als « kleinen Diktator » mit Handpuppen-Sketschen aufs Korn nimmt.

Kritik von Linkspartei und Grünen

Politiker von Linkspartei und Grünen äußerten Kritik am Vorgehen des Leizpiger Finanzamtes.Der stellvertretende Linken-Vorsitzende Jan van Aken nannte die geplante Aberkennung der Gemeinnützigkeit « unglaublich ». Unabhängig von der Frage, wie er zu einzelnen Aktivitäten stehe: « Es geht gar nicht, einem Verein, der für Völkerverständigung eintritt, die Gemeinnützigkeit zu entziehen », sagte er dem Tagesspiegel. Die Finanzbehörde wähle ein « beliebtes politisches Kampfmittel », mit dem schon anderen Fällen der Versuch unternommen worden sei, « politisch unliebsamen Organisationen » die Gemeinnützigkeit zu entziehen und ihnen so die Existenzgrundlage zu entziehen. « Das ist ein Skandal. »

Auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) ist empört. Sie kenne « Adopt a Revolution » seit Anfang 2012, habe den Verein « immer unterstützt ». Die Initiative verfolge einen « klaren zivilgesellschaftlichen und gewaltfreien Ansatz ». Mit ihrer Arbeit unterstütze sie zivile Basisgruppen in Syrien und versuche so, friedliche Lösungen vor Ort zu ermöglichen. « Die Stärkung freiheitlicher, ziviler und demokratischer Bestrebungen in Syrien ist angesichts der katastrophalen Situation für die Menschen in dem Land dringend geboten. Die Ziele Demokratie, Einhaltung von Menschenrechten und das Recht auf Selbstbestimmung sind für mich klar gemeinnützig und deshalb verstehe ich die Argumentation der Finanzbehörden nicht. »

Ähnlich äußerte sich der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold, der nach eigenen Angaben regelmäßig für « Adopt a Revolution » spendet. Der Verein sei « eindeutig gemeinnützig, weil er sich für die Völkerfreundschaft und die Entwicklungszusammenarbeit engagiert », sagte Giegold dem Tagesspiegel. « Natürlich muss man jetzt um die Gemeinnützigkeit streiten. Ich habe keinen Zweifel, dass sich der Verein durchsetzen wird. » Die Initiative versuche seit drei Jahren, mit friedlichen Mitteln Veränderungen in Syrien zu erreichen.

Verein fürchtet das Aus für seine Arbeit

In dem Rundbrief an die Spender wies « Adopt a Revolution » die Argumente des Leipziger Finanzamtes zurück. « Was bedeutet ,politisch’, wenn wir in einer totalitären Diktatur Menschenrechtsgruppen, Bürgerjournalisten und Zentren für die Zivilgesellschaft unterstützen? » Das Assad-Regime verfolge alle Bürgerinnen und Bürger, die Demokratie und Menschenrechte fordern, es bezeichne sogar die medizinische Versorgung von Verwundeten außerhalb staatlicher Krankenhäuser als Terrorismus, als politischen Akt gegen den Staat. » Sollte wirklich ausgerechnet ein deutsches Finanzamt einer solchen Argumentation folgen? Für jede friedens- und entwicklungspolitische Arbeit wäre das fatal und für unsere Unterstützung der syrischen Zivilgesellschaft würde es vermutlich das Aus bedeuten. »

source : http://www.tagesspiegel.de/politik/drohbrief-vom-finanzamt-syrien-helfer-sollen-gemeinnuetzigkeit-verlieren/9738436.html

date : 10/04/2014