« Die Würde ist eines jeden Syrers oberstes Grundbedürfnis » – Grünhelme jetzt neben Azaz auch in Harim im Norden Syriens – von Till Gröner

Article  •  Publié sur Souria Houria le 8 avril 2013

Die Freie Syrische Armee hat bereits viele Regionen ihres Landes befreit. Sicher fühlen sich die Menschen dort aber trotzdem noch nicht, weil die Assad-Truppen immer noch Flughäfen und wichtige Straßen besetzen, um das Land aus der Luft zu terrorisieren.
Genauso ist es auch hier rund um unsere Baustellen in Azaz. Obwohl die Menschen das Regime vertrieben haben, sind die umliegenden Ortschaften noch Geisterstädte, in die sich nur wenige zurück trauen.
Auch wir sind vorsichtig. Im renovierten Krankenhaus sitzen wir zum Tee trinken neben einem durch Gefechte verwundeten Krankenpfleger Mitarbeiter ganz unten im Keller, wo wir später auch schlafen. Im Falle von Raketen ist man dort unten noch am sichersten. Ab und zu hört man irgendwo Raketen detonieren. Aber nie weiß einer genau, wo das war. Und keiner weiß, wie lange man sich hier in der Stadt unsicher fühlen muss.
Nicht mal der Deutsch-Syrer Saru Murad (erst Grünhelm für den Wiederaufbau von Schulen und Krankenhäuser, jetzt Technischer Leiter des Cap Anamur Krankenhauses in Azaz) traut sich zum Frieden genauere Prognosen für die nächsten Wochen zu machen.
Dazu beschreibt ein vor uns liegender und gar nicht so alter Reiseführer (un)passend, die Regierung Assads sei Fortschritt bringend und modern. Genauso wenig wie man vorhersagen konnte, dass dieser Mann wenig später Raketen auf sein eigenes Land schmeißt, kann man heute sagen, wie sich die Lage Syriens in der nächsten Zeit verändert.
Und als wollten die Menschen uns beweisen wie schwer der tückische Frieden hier einzuschätzen sei, steigt auf der Fahrt zu unseren Baustellen bei einem bewaffneten Straßenstop ein alter Mann ein. Aus einem Riesensack verkauft er in den Trümmern der verlassenen Ortschaften rosa Zuckerwatte. Vielleicht eine Metapher der Hoffnung. Bestimmt aber ein Zeichen für die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung.
„Krieg und Frieden sind schlechter vorhersagbar als die Hochdruckgebiete im Wetterbericht: Wo Schulen und Krankenhäuser zerbombt werden, sind ohne Zweifel die Falschen in Mitleidenschaft von politischen Auseinandersetzungen gezogen worden und man muss nicht erst die Ursachen dafür suchen.“, sagt unser Techniker Jochen Knauf. „Auf kaputte Schulen gibt es nur eine Antwort: Wieder Aufbauen.“
Das findet auch Dunja Khoury, eine Psychologie-Studentin aus Freiburg, die wir an der Türkisch-Syrischen Grenze treffen: „Bei der Not, die in diesem Land tobt, kann man gar nicht anders als selber mit anpacken“.
Leider hat sie in Deutschland niemanden gefunden, dem sie bei der Unterstützung der Syrischen Menschen hier vor Ort helfen kann und hat mit ihren Syrischen Eltern deshalb nun selbst eine Aktion für die Opfer des Krieges gegründet.
Sie freut sich nicht nur darüber, dass das Team der Grünhelme unkompliziert und schnell handelt, sondern vor allem auch darüber, dass der Verein jungen engagierten Menschen die Möglichkeit gibt, selbst mit anzupacken. Nach so einer Gelegenheit hat sie selbst vergeblich in Deutschland gesucht.
Das beste Beispiel für einen jungen Mann, der bei uns eine Chance gefunden hat das Land wieder auf zu bauen, ist Abdullah Alloui . Seit drei Monaten ermöglicht uns der Aachener mit viel Einsatz und fließendem Arabisch die Arbeit in dieser Region.
Dank ihm und unseren anderen fleißigen Mitarbeitern in Syrien haben wir bisher neben dem Krankenhaus schon vier Schulen in Azaz und Kel Jibrin renovieren können. Mit dem Wiederaufbau drei weiterer Schulen in Tal Refaat haben wir vor kurzem angefangen.
Die zu reparierenden Zerstörungen reichen dabei von Einschußlöchern über extreme Plünderungen und Verwüstungen bis zu Bombeneinschlägen, die mit Ihrer Wucht oft alle Fenster aus den Wänden reißen. Im Fall der zuletzt begonnenen „Jammal Jamal“ Schule, ist sogar das halbe Gebäude unter einer Rakete zusammengestürzt, so dass wir dort ganz neue Klassenzimmer neben dem übriggebliebenen Rest des Schulgebäudes anbauen.
Bis die Gefahr in dieser Region wieder besser einzuschätzen ist, reparieren wir in der Kleinstadt Harim andernorts einen Kindergarten. Hier sind vor dem Haus Raketen runter gekommen und haben alle Fenster, teilweise sogar Wände rausgerissen. Nach der Renovierung wollen die Mütter der Kinder (die hier auch das Alphabet und zählen lernen) in ihrem „Freien Syrien“ arbeiten gehen.
Um zu unserer Baustelle nach Harim in der Syrischen Region Itlib zu kommen, müssen wir allerdings beschwerliche Grenzübergänge in Kauf nehmen. Meist muss man ewig warten und verhandeln. Nur so kommt man in dieser Region überhaupt irgendwo in das Land hinein oder wieder raus.
Ein Mitwartender, der Englisch-Lehrer Faress Mansour, der schon seit mehreren Monaten kein Gehalt mehr bekommen hat, sagt: Diese Strapazen und Erniedrigungen, sowie mangelnde hygienische Einrichtungen seien das Allerschlimmste für hilfsbedürftige Syrer: „Die Würde ist eines jeden Syrers oberstes Grundbedürfnis. Erst wenn er sich dessen sicher ist, muss ein Syrer schlafen, essen, trinken oder heizen.“
Ein Freund des Bürgermeisters, der auch schon lange mit uns wartet, um endlich über die Grenze zu kommen, glaubt dagegen überhaupt nicht mehr an Tugenden. Er ist sich sicher, dass ihr kleines Land von der ganzen Welt verachtet wird. „Wie sonst kann es sein, dass uns keiner hilft?“ Warum in Deutschland niemand Waffen an unorganisierte Rebellengruppen geben möchte, kann ihm dazu in diesem Moment und in der vorherrschenden Kriegslogik keiner von uns erklären.
Unser erfahrener Zimmermann Simon Sauer und der ganz frisch für uns in Syrien eingetroffene Bauingenieur Amr Al-Mrayati bleiben noch lange in Harim. Wie die Grünhelme vor Ihnen werden auch sie fest mit anpacken um zu zeigen, dass nicht alle Menschen nichts für Syrien tun wollen und können.

source : http://gruenhelme.de/1572.php

date : 31/03/2013