Ein Jahr im Fegefeuer: Ein Erfahrungsbericht über meine journalistische Arbeit und die Zeit im Gefängnis

Article  •  Publié sur Souria Houria le 11 mai 2012

Amer Matar

25-4-2012

Meine Erfahrungen mit dem syrischen Sicherheitsapparat lässt sich am besten als Fegefeuer beschreiben. Zwischen zwei Welten, so scheint es mir, begegnete ich in der Enge und Abgeschiedenheit dieses unbekannten Raums dem Tod. Während President Bashar al Assad am 28. März 2011 nur wenige  Meter von meinem Zuhause entfernt fröhlich scherzte, wurde ich in meinem Schlafzimmer von seinen Schergen zusammengeschlagen und meine Wohnungseinrichtung zertrümmert. Während das laute Lachen des Diktators das syrische Parlament erfüllte, verhallten meine Schmerzensschreie in der unweit entfernten Al Abed Strasse.

Zunächst haben sie mich in verschiedenen Einzelzellen untergebracht. Weil journalistische Arbeit in Syrien als eines der abscheulichsten Verbrechen gilt, habe ich zunächst einmal die gängigste Foltermethode, das Auspeitschen, kennengelernt. Nachdem der Ermittler der Staatssicherheit meine journalistischen Artikel gelesen hatte beschimpfte er mich als Verräter. Auf dem Weg in eine andere Gefängnisabteilung wurde ich von drei Gefängniswärtern befragt, was mein Verbrechen war. Als ich „Journalist“ antwortete, wurde ich gleich niedergeschlagen. Als ich am Boden lag, haben die drei nur laut gelacht. Einer sagte, herabblickend, „Ihr macht die Kreuzworträtsel immer schwieriger für uns, ihr Tiere.“

Während ich über die Fußschwelle meiner Einzelzelle trag kam mir der Gedanke, einen Artikel über die Absurdität meiner Situation zu schreiben; über die voreingenommenen Ermittler, die unbarmherzigen Folterer und die beschränkten Gefängniswärter. Es würde ein Artikel voll schwarzem Humor werden und man müsste beim Lesen gradezu in lautes Gelächter ausbrechen. Einmal wurde ich ausgepeitscht, weil ich für die libanesische Zeitung Al Nahar gearbeitet hatte. Das blaue Logo der Zeitung, das farblich der israelischen Fahne gleicht, war ausreichend, um von den syrischen Sicherheitskräfte als israelische Zeitung „entlarvt“ zu werden. Sie sagten mir, das Al Nahar eine israelische Zeitung sei, und schlossen daraus, dass ich ein Mossad-Agent des israelischen Geheimdienstes sein müsse. Diese Anschuldigung trifft vermutlich jeden, der Artikel für Al Nahar schreibt, und darüber hinaus eigentlich alle, die nicht für den regimetreuen Al Dunia Fernsehsender oder die staatliche Al Thawra Zeitung arbeiten.

Nach sechzehn Tagen und Nächten voll Folter und wahnwitzigen Begebenheiten wurde ich endlich entlassen. Ich kehrte zurück zu meiner Arbeit im Untergrund und verfolgte gespannt die Ereignisse der syrischen Revolution. Gleich nach meiner Rückkehr habe ich mein Testament geschrieben und an meinen Vater geschickt. Ich schrieb: „Lass den Judaslohn mein Leben sein. Wenn ich zurück nach Hause komme, so schreibe mit meinem Blut uns unsere Haustür, wasche meine Seele mit den Wolken, die ich so liebe und beerdige mich auf einem großen Friedho, wo ich meinen Kopf unter den Toten hochheben könnte.“ Das war mein Testament, „der Judaslohn ist deine Freiheit, Vater.

In den kommenden Wochen bin ich mit tausenden von Menschen auf die Straße gegangen, und glaubte fest daran, dass journalistische Arbeit dabei helfen könnte, den syrischen Traum von Freiheit wahrzumachen.

Ich habe dann mit einer Gruppe unabhängiger Journalisten die Institution Al Schare (arabisch für „die Straße“) für Medien und Entwicklung gegründet. Die Al Schare Institution begann damit, die Ereignisse vor Ort systematisch zu dokumentieren. In allen möglichen syrischen Städten wurde ein Nachrichtennetzwerk aufgebaut, das Dokumentarfilme und Berichte immer direkt vor Ort ermöglichte.

Unser Team hat mehr als fünfzig Interviews mit den wichtigsten Persönlichkeiten der oppositionellen Kräfte aufzeichnen können. Auch einen Fernsehbericht unserer Institution, „Dialoge aus der syrischen Szene“, wurde vom Sender Al Arabia ausgestrahlt. Der Bericht beinhaltet auch einige Interviews, die unter großem Aufwand heimlich aufgezeichnet wurden. Zudem haben wir den ersten Dokumentarfilm über den Anfang der syrischen Revolution – „23 Minuten Revolution“ – gemacht. Der Film dokumentiert die Situation der Stadt Hama, bevor Assads Armee dort einmarschierte.  Auch dieser Film wurde von Al Arabia ausgestrahlt. Ein weiterer Dokumentarfilm, „Azadi“ (kurdisch für „Freiheit“), wurde im August 2011 in Qamishli und anderen kurdischen Städte im Nordosten Syriens aufgenommen. Beim „Arab Film Festival Rotterdam“ hat dieser Film einen silbernen Preis gewonnen und wurde daraufhin vom französischen Sender France24 ausgestrahlt. Der Film „Hama 1982 – Hama 2011“ vergleicht die beiden in Hama verübten Massaker des Regimes und enthält darüber hinaus eine Vielzahl an Berichten aus verschiedenen Städten Syriens.

In der Nacht des 3. September 2011 wurde ich gezielt in eine Falle gelockt und durch den militärischen Geheimdienst verhaftet. In dieser Nacht wurde ich brutal gefoltert, um die Adresse meines Zuhauses zu verraten. Der Geheimdienst wollte um jeden Preis unser Equipment beschlagnahmen. Es gelang mir jedoch, das Geheimnis zu bewahren. Daraufhin versuchte das Regime, meine Arbeit zu verunglimpfen und beschuldigte mich, im Auftrag und gegen Geld des Senders Al Arabia zu arbeiten. Wieder wurde ich gefoltert, aber wieder konnte ich verhindern, dass wichtige Informationen geheim blieben. Ich verlies den Verhörraum mit Verletzungen an meinem Kopf, mein Rumpf und meine Füße waren überseht mit Spuren der Peitschenhiebe, die mir die Ermittler zugefügt hatten. Außerdem wurde ich gezwungen ein Geständnis abzulegen, dass wir irreführende Werbung betreiben, und alles was in den internationalen Medien über Syrien berichtet wird, eine Lüge ist. Als er auf meinem Rücken stand, hatte er versucht, mich zu überzeugen, dass sie doch ganz menschlich sind.

Nach vierundfünfzig Tagen im Kellerverlies der Geheimdienst-Abteilung 215 wurde ich schließlich der Militärjustiz in Damaskus vorgestellt. Auch dort wurde ich beleidigt, und die Richter haben mir lediglich zugerufen, dass ich den Tod verdient hätte, da ich mit meiner journalistischen Arbeit Vaterlandsverrat begangen hätte. In der Gerichtszelle wurde mir ein kleiner Zettel zugeschoben, auf dem meine Anklage stand: “Verbreitung falscher Nachrichten, die die Moral der Nation schwächen kann.” Mit Haftbefehl wurde ich anschließend ins Zentralgefängnis von Damaskus abgeführt. Dort habe ich meine Freunde, die bereits einen Monat vor meiner Entführung verhaftet wurde, wiedergetroffen.Von ihnen erfuhr ich auch, dass unser Film „Azadi“ beim Filmfestival einen Preis gewonnen hat. Zusammen versuchten wir eine kleine Kamera ins Gefängnis zu schmuggeln, aber schlussendlich gelang es uns leider nicht. Stattdessen habe ich dann einen Bericht über die Zeit im Gefängnis geschrieben. Die Revolution muss schließlich auch hinter Gittern weitergehen. Immer samstags bekamen wir Neuigkeiten zu hören, denn Samstag war der einzige Besuchstag. Meine Freundin hatte so auch einen Liebesbrief ins Gefängnis geschmuggelt. Zwischen den Zeilen hatte sie einen Artikel eines bekannten politischen Schriftstellers versteckt, der uns die Entwicklung der Revolution erläuterte. In der Zelle musste ich viel an meinen Vater denken, dem ich auch wieder schrieb. Um nicht an der Hoffnungslosigkeit unserer Situation zu verzweifeln, habe ich zusammen mit einem Gefängnisinsassen und Revolutionspartner an dem Projekt „Festival Syrische Straße“ gearbeitet. Die Gefängnisse des Regimes sind eindeutig kleiner als unsere Träume!

Am 4. Januar 2012 kam ich wieder frei. Mittlerweile hatten Sicherheitskräfte unsere komplette Ausrüstung beschlagnahmt und fast alle Mitglieder festgenommen. Wir waren am Ende und komplett pleite. Daraufhin haben wir versucht, die Aktivitäten auf der Strasse wiederzubeleben und ein Fest organisiert, um den Jahrestag der Revolution zu feiern. Das Fest war für die Woche vom 15. bis zum 22. März 2012 geplant. Mehrere Orte in Syrien wie auch das Ausland beteiligten sich an der Aktion. Leider waren wir nicht erfolgreich genug.

Einige Filme sind momentan noch in der Produktion. Einer davon zeigt die Kämpfe zwischen der freien syrischen Armee und der regulären Armee in der Stadt Al Zabadani. Die Arbeit der Institution, Informationen die über „normale“ Nachrichten hinausgehen, wird fortgesetzt. Unser Material zeigt z.B. auch wie die Revolution den Alltag der Menschen bestimmt.

Mein Ziel ist es, eine weitere Verhaftung um jeden Preis zu umgehen. Sicherheitskräfte hatten meinen Vater für zehn Tage verhaftet, lediglich weil er einen „kriminellen Journalisten“, der mit seinen Kollegen die Wahrheit ans Licht bringen wollte, zur Welt gebracht hat. Er wurde verhaftet, weil er Vater eines Sohnes ist, der genauso wie tausend andere Syrer mit ihren Handys in den Händen, die täglichen die Wahrheit und die Verbrechen des Regimes dokumentiert. Dabei ist das, was ich bis jetzt gemacht habe, wenig im Vergleich zu der Leistung tausender Syrer, die Tag für Tag ihr Leben riskieren. Nichts ist größer als unser Traum, ein freies modernes Syrien zu schaffen.

Dieser Bericht schildert meine Erfahrungen des letzen Jahres. Ich berichte über diese Ereignisse aus der Wärme meines Zuhauses, in relativer Sicherheit, während dutzende meiner Kollegen genau in diesem Moment in den Strassen von Homs, Hama und Idlib um ihr Leben rennen. Ich sitze hier in meinen vier Wänden, während so viele meiner Journalistenkollegen, die vom syrischen Regime ermordet wurden, in ihren Gräber liegen. Diese Perspektive lässt mich Demut spüren, und ich schäme ich fast für meine Sicherheit und meiner Worte.

 by المترجمون السوريون الأحرار ‎

Quelle: Zakeret Aam fe al-Barzakh, al-Quds al-Arabi, 25-04-2012