Harasta, eine ausgebrannte Stadt – von Razan Zeitouneh

Article  •  Publié sur Souria Houria le 1 août 2013

(Harasta, Syrien) – Das Labyrinth von Straßen, das sich durch die maroden Vororte von Damaskus’ einstigem landwirtschaftlichen Gürtel windet, erinnert an die Altstadt der Hauptstadt. Die Einheimischen sagen, dass jede Straße im Umkreis einen Reisenden wahrscheinlich zum gleichen Ziel bringt wie eine der umliegenden Straßen.

Diese einst üppige ländliche Gegend, östliches Ghouta genannt, wurde eine Hochburg im Aufstand gegen die Regierung des syrischen Präsidenten Bashar Al-Assad, und wurde dementsprechend von seinen Kampfflugzeugen und seiner Artillerie heftig unter Beschuss genommen. Aufgrund der hiesigen Kämpfe müssen Besucher die Hauptstraßen meiden und sich auf den schmalen Nebenstraßen halten, wo schwer zu sagen ist, wann man eine Stadt verlässt und die andere betritt. Aber die blassen Olivenbäume verraten mir immer, dass wir den Stadtrand von Harasta – das etwa fünf Kilometer vom Zentrum von Damaskus liegt und 100.000 Menschen beherbergt – erreichen.

Man muss wohl eher sagen, dass es einst so viele Menschen beherbergt hat. Ende April diesen Jahres (2013) war Harasta nur noch verlassen.

Das Regime begann mit seiner Militärkampagne gegen Harasta im Oktober 2012, nachdem Kämpfer der Opposition Kontrolle über weite Teile der Stadt erlangt hatten. Anschließende Kämpfe zwischen den Oppositionskämpfern und den Truppen der Regierung zwangen die meisten Zivilisten dazu, aus Harasta zu fliehen. Anders als Vertriebene aus anderen Städten und Dörfern im Osten von Damaskus konnten sie aufgrund der vollständigen Zerstörung der Stadt durch Regierungstruppen, welche bis heute die Stadt beschießen, nicht zurückkehren.

Platz der Freiheit

Wir hielten an einem Platz, bei dem die umliegenden Gebäude so aussahen, als wären ihre Fassaden durch unbarmherziges Bombardieren weggeschält worden, eine Schicht nach der anderen. Die Gebäudefassade war weggerissen worden und gab den Blick auf die Innentreppen frei, die zu einer Tür im obersten Stock führten, der wiederum zu einem Teil mit hängenden Treppen führte, die aussahen, als seien sie vom Himmel gefallen.

Der Rest der Gebäude war ausgebrannt, die Einrichtung von Schutt übersät. Es war unmöglich, diesen Ort – Harastas Hauptplatz, welchen anti-RegimedemonstrantInnen in “Platz der Freiheit” umbenannt hatten, wiederzuerkennen. Wir hatten uns hier vor einem Jahr versammelt, um gegen Assads Regierung zu demonstrieren. Ein Platz, an dem die Protestschreie von den damals noch intakten Gebäuden widerhallten und die große Menschenmenge bunte Poster schwang.

TaubeEine Taube landet auf dem “Platz der Freiheit”.

Eine verwüstete Nachbarschaft

In Harastas Viertel Seil entdeckte ich eine schockierende Szenerie: Ein gesamter Straßenzug, der auf ein Nichts außer zusammengebrochene Dächer reduziert war, welche den Boden bedeckten, und der von dutzenden Satellitenschüsseln, welche einst an den Gebäuden angebracht waren, übersät war. Laut AktivistInnen haben Regierungstruppen die Gebäude in dieser Nachbarschaft zerstört, um ihr Blickfeld zu erweitern.

An der hinteren Wand eines der Balkone hatte jemand in dicker schwarzer Schrift die Worte „Wir werden hier bleiben“ geschrieben. Aber die einzigen sichtbaren Menschen waren Bewaffnete, die die Trümmer bewachen und versuchen, jene Teile der Stadt außerhalb der Kontrolle der Armee zu halten. Einige Nachbarschaften Harastas sind immer noch Orte erbitterter Kämpfe.

Von den Kämpfen zerstörte Gebäude in Harasta.Zerstörte Gebäude im Viertel Seil. Lokale AktivistInnen sagen, dass Regierungstruppen diese Gebäude zerstört haben, um ihr Blickfeld zu erweitern.

Die einzige Kirche in Harasta hat die Kämpfe überlebt, ist aber im Inneren zerstört worden. Regimesoldaten haben die Wände mit blasphemischen Sätzen übersät und die Einrichtung sowie Ikonen weggeworfen. Abu Nizar – das Pseudonym eines der Oppositionskämpfer, der für die Gegend um die Kirche verantwortlich ist – erzählte, dass er die Lager der Kirche verschlossen hat, um sie vor Plünderung zu schützen.

IkoneEine zerbrochene Ikone in der Kirche von Harasta.

 

Graffiti AssadGraffiti in der Kirche von Harasta: “Hafez [al-Assad] ist Gott und Bashar ist Jesus”. Außerdem ist zu lesen: “al-Assad oder wir brennen das Land nieder, Moscheen und Kirchen eingeschlossen.”

Viele der Nachbarschaften werden von schrecklichen Gerüchen geplagt, die aus verwesenden, tief unter den Trümmern begrabenen Leichen strömen. Wobei niemand genau weiß, ob die Quelle tierisch oder menschlich ist.

 

Kämpfe sind am Ortseingang zu Harasta immer noch voll im Gange, im Besonderen rund um eine Militärbasis, aus der die Armee ihre heftigsten Angriffe gegen das östliche Goutha lanciert.

"Wir bleiben hier", Harasta.Die Worte „Wir bleiben hier” stehen an der Wand eines zerstörten Gebäudes, zusammen mit einer Hommage an die Freie Syrische Armee.

Ich glaube daran, dass die Stadt Harasta weiterhin Widerstand gegen die Regierungsattacken leisten wird bis Assads Truppen besiegt sind. Ich fühle einen Schmerz über den Verlust der Orte, an denen ich Zeugin der ersten Demonstrationen und Jubels der Revolution geworden war.

Dieser Bericht von Razan Zeitouneh erschien am 21. Mai 2013 bei Damascus Bureau in englischer Sprache. Eine Aktivistin von AaR hat den Bericht aus dem Englischen übersetzt. Die Aktivistin und Menschenrechtsanwältin Zeitouneh gehört zu den GründerInnen der LCCs und berichtet regelmäßig – u.a. auch für deutsche Zeitungen – aus Syrien. Zeitouneh war bereits vor 2011 in Menschenrechtsfragen aktiv, seit 2011 lebt sie im Untergrund. Für ihr Engagement wurde Zeitouneh bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Sakharov- und dem Anna Politkovskaya-Preis.

source : https://www.adoptrevolution.org/harasta-eine-ausgebrannte-stadt-razan-zeitouneh/

date : 31/07/2013