Harmlos klingende Kriegstreiberei – par Silke Mertins

Article  •  Publié sur Souria Houria le 23 juin 2012
Kommentar. Ständig betont der Westen, in Syrien militärisch nicht eingreifen zu wollen. Klingt friedlich, heizt in Wahrheit aber die Gewalt und den Konflikt an.
Vor ein paar Tagen war es wieder so weit: Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat erneut ausdrücklich betont, dass der Westen gar nicht daran denke, in Syrien zu intervenieren. « Momentan gibt es keinen Plan für eine Nato-Operation », erklärte er bei einer Pressekonferenz in Canberra. Militärisches Eingreifen sei ein « schlechtes Mittel », fügte er noch hinzu. Und schade, dass die Uno sich bei den Sanktionen nicht einigen kann, das sei ein « schwerer Fehler ».
Die knappen Äußerungen beschreiben die Misere des internationalen Umgangs mit Syrien. Die Weltgemeinschaft ist wegen der russischen und chinesischen Blockade im Sicherheitsrat nicht verhandlungsfähig. Andere Optionen liegen nicht auf dem Tisch.
Was Rasmussen – und nicht nur er – sagt, scheint natürlich erst einmal zivilisiert und friedfertig. Der Mann will schließlich keinen Krieg, sondern eine politische Lösung. Worte statt Waffen: Lasst uns doch bitte reden! Klingt nach der richtigen Botschaft in einem Konflikt, bei dem schon über 14.000 Menschen gestorben sind. Wer wollte ihm da widersprechen?
Doch harmlos ist es keineswegs. Rasmussen versichert dem syrischen Diktator Baschar al-Assad immer wieder aufs Neue, dass er nichts zu befürchten hat vom westlichen Militärbündnis. Er garantiert ihm fast schon, dass man ihm nicht in den Arm fallen wird. Egal, was geschieht: Der Fall Libyen wird sich nicht wiederholen. Diese Botschaft ermutigt Assad geradezu, das zu versuchen, was seinem Vater seinerzeit gelungen ist: die Niederschlagung des Aufstands. Hafis al-Assad hat 1982 rund 20.000 Menschen abschlachten lassen, vielleicht auch doppelt so viele. Danach war drei Jahrzehnte Ruhe. Die Äußerung, dass die Nato und der Westen nicht militärisch intervenieren wollen, ist deshalb alles andere als harmlos und unschuldig. Sie ist ein Freibrief für Assad und heizt den Konflikt. Ein Diktator, der keine Intervention zu befürchten hat, hat keine Hemmungen mehr.
Gerade wer eine politische Lösung ermöglichen will, sollte eine militärische Option nicht kategorisch ausschließen. Assad sollte sich nie sicher sein, dass ihm nicht das gleiche Schicksal droht wie Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi. Der Westen muss dazu Angriffe auf Syrien gar nicht wirklich vorhaben oder konkret vorbereiten. Allein schon die Tatsache, dass die Nato, Europa, die USA eine Intervention nicht ausschließen, würde Druck auf Damaskus ausüben – Druck, der dringend benötigt wird, um eine Übergangsregelung nach jemenitischem Modell überhaupt erst einmal in die Diskussion zu bringen.
Assad hat die Diktatur geerbt und ist in sie hineingewachsen. Er ist überfordert, die Realität ist ihm völlig entglitten. Wahrscheinlich glaubt er mittlerweile tatsächlich auch selbst, dass es sich bei den Aufständischen um Terroristen und Gangster handelt. Er glaubt ja auch, dass die Syrer ihn lieben und er demokratisch gewählt wurde. Mit Terroristen will er naturgemäß nicht verhandeln. Die USA tun dies ja auch nicht, argumentiert er. Eine Drohgebärde des Westens, und sei sie noch so vage, könnte ihn ein wenig in die Realität zurückholen.
Doch stattdessen arbeitet sich der Westen im Sicherheitsrat ab. Immer wieder wird Russland bedrängt. Dringend bräuchte es jetzt mehr und härtere Sanktionen, beschwören europäische und amerikanische Diplomaten die Gegner von Strafmaßnahmen.
Doch seien wir ehrlich: Moskau ist nicht einmal gewillt, Verstöße gegen den Annan-Friedensplan, den alle mittragen, zu bestrafen, geschweige denn irgendetwas, was darüber hinausgeht. Das große Ziel, Assad mit knallharten Sanktionen zu belegen und ihn zu einem Umdenken zu bewegen, ist unerreichbar. Niemand bei der Uno in New York macht sich darüber noch Illusionen. Doch allen gibt es ein gutes Gefühl, es weiter zu versuchen. Wenigstens ist man nicht untätig! Wir bemühen uns ja weiter!
Doch wie immer im Leben zählen die Bemühungen allein nicht. Es zählt das Ergebnis, und das ist gleich null. Vielleicht kann die westliche Welt bei Syrien tatsächlich nur noch abwarten und hoffen. Die Weltgemeinschaft kann nicht viel tun für Syrien. Doch das Mindeste, was die leidende syrische Bevölkerung von uns erwarten kann, ist, dass der Konflikt durch scheinbare Neutralitätsbekundungen nicht weiter angeheizt wird. Deswegen ein dringender Appell an Rasmussen und alle, die es ihm gleichtun: Wenn Sie das nächste Mal nach einer Intervention in Syrien gefragt werden, bitte einfach mal die Klappe halten!