Syrien: Jesuiten stemmen sich gegen das Flüchtlingsdrama

Article  •  Publié sur Souria Houria le 20 avril 2012

(Syrie : des Jésuites et leurs efforts pour aider les réfugiés)

20.04.2012

 

 Eine halbe Mil­li­on Men­schen sind in Sy­ri­en der­zeit auf der Flucht, zwi­schen 90.000 und 100.000 Syrer, dar­un­ter zahl­rei­che Fa­mi­li­en mit klei­nen Kin­dern, sind in das be­nach­bar­te Jor­da­ni­en ge­flo­hen. Das geht aus Schät­zun­gen des UNHCR und Be­rich­ten des In­ter­na­tio­na­len Je­sui­ten­flücht­lings­diens­tes her­vor.„Ein gro­ßes Pro­blem ist, dass die Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen keine aus­län­di­schen Mit­ar­bei­ter ins Land brin­gen kön­nen, weil sie keine Visa be­kom­men. Das heißt, dass ihre Be­we­gungs­frei­heit ex­trem ein­ge­schränkt ist. Es gibt im Land ein Paar Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen, doch sind zi­vil­ge­sell­schaft­li­che Struk­tu­ren, zu denen ja auch Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen und Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen ge­hö­ren, auf­grund des po­li­ti­schen Sys­tems nicht stark aus­ge­prägt.“

Ju­dith Beh­nen von der deut­schen Je­sui­ten­mis­si­on ist in den ver­gan­ge­nen Tagen mit dem Lei­ter des In­ter­na­tio­na­len Je­sui­ten­flücht­lings­diens­tes, Pater Peter Bal­leis SJ, durch Sy­ri­en und Jor­da­ni­en ge­reist.  Wäh­rend große in­ter­na­tio­na­le Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen immer noch enor­me Schwie­rig­kei­ten haben, in Sy­ri­en hu­ma­ni­tä­re Hilfe zu leis­ten, setzt der Je­sui­ten­flücht­lings­dienst auf lo­ka­le Netz­wer­ke und Nach­bar­schafts­hil­fe, die von Je­sui­ten vor Ort ko­or­di­niert wer­den, er­zählt sie im In­ter­view mit Radio Va­ti­kan:

„Die Je­sui­ten kön­nen in Homs, Alep­po und Da­mas­kus zu­sam­men mit der Ca­ri­tas und der lo­ka­len Kir­che auf einem be­stimm­ten Level Hilfe leis­ten, zum einen weil die Struk­tu­ren für die ira­ki­schen Flücht­lin­ge schon be­ste­hen und zum an­de­ren, weil es viele frei­wil­li­ge junge Leute gibt, Chris­ten und Mus­li­me, die Nach­bar­schafts­hil­fe leis­ten. Das Ganze funk­tio­niert aber nur über per­sön­li­che Kon­tak­te und die lo­ka­le Kir­che vor Ort, es gibt keine gro­ßan­ge­leg­ten Hilfs­ap­pa­ra­te. Das ist im Mo­ment wirk­lich nicht mög­lich.“

Der In­ter­na­tio­na­le Je­sui­ten­flücht­lings­dienst küm­mert sich seit 2008 in Sy­ri­en und Jor­da­ni­en um ira­ki­sche Flücht­lin­ge. Diese be­ste­hen­den Hilfs­struk­tu­ren wür­den jetzt für die sy­ri­schen Flücht­lin­ge ge­nutzt, dar­un­ter Chris­ten wie Mus­li­me. Ob Le­bens­mit­tel, Ko­chu­ten­si­li­en, Ma­trat­zen oder Miet­hil­fen, mit schon ein Paar Euro könne den Men­schen ge­hol­fen wer­den, be­rich­tet Beh­nen. Dabei pro­fi­tier­ten die Flücht­lin­ge auch von der Un­ter­stüt­zung der ira­ki­schen Flücht­lin­ge, die bis­her nicht in ihr Land zu­rück­keh­ren konn­ten. Ein Prin­zip je­sui­ti­scher Hilfs­ar­beit: die Mo­bi­li­sie­rung von Flücht­lin­gen für Flücht­lin­ge. Dazu Beh­nen:

„Die­ses Prin­zip hat große So­li­da­ri­tät zur Folge und schafft Ver­trau­en. Ich war mit einer äl­te­ren Frau aus dem Irak in Jor­da­ni­en un­ter­wegs, die sagte: ,Das ist genau das, was wir da­mals er­leb­ten, als wir 2003 oder 2007 aus dem Irak ge­kom­men sind. Seht zu, dass ihr nicht zu lange im Pro­vi­so­ri­um lebt, schickt eure Kin­der so­fort in dies Schu­le, gebt den Traum auf, nach zwei Wo­chen so­fort wie­der nach Hause zu kom­men, das ist nicht rea­lis­tisch.’“

Viele der Flücht­lin­ge haben schon eine re­gel­rech­te Odys­see quer durch das Land hin­ter sich. Neben Un­si­cher­heit, Ob­dach­lo­sig­keit und Ver­ar­mung hät­ten zahl­rei­che Men­schen, vor allem Kin­der, mit psy­chi­schen Fol­gen der Ge­walt zu kämp­fen.

„Die kom­men aus Städ­ten wie Homs, also Orten, die bom­bar­diert wer­den und wo Fa­mi­li­en vor der Ge­walt flie­hen müs­sen. Wir haben viele ge­trof­fen, die schon mehr­fach wei­ter­ge­zo­gen sind. Eine Fa­mi­lie aus Homs war erst in einem Dorf in Zel­ten un­ter­ge­bracht, sie hat­ten nur noch ihr Auto, sind dann wei­ter nach Da­mas­kus ge­zo­gen. Es gibt Flücht­lin­ge, die schon die zwei­te, drit­te Sta­ti­on hin­ter sich haben, weil sie Schutz ge­sucht haben an Orten, die dann zu Schau­plät­zen kämp­fe­ri­scher Hand­lun­gen wur­den. Viele der Kin­der sind trau­ma­ti­siert und haben Alp­träu­me, die El­tern las­sen sie nicht mehr aus dem Haus.“

Was wünscht sich die sy­ri­sche Be­völ­ke­rung mit Blick auf die po­li­ti­sche Zu­kunft ihres Lan­des? Der Frie­dens­plan der Ver­ein­ten Na­tio­nen steht auf wa­cke­li­gen Füßen, eben­so scheint die ver­ein­bar­te Waf­fen­ru­he immer wie­der ge­bro­chen zu wer­den. Nach zahl­rei­chen Ge­sprä­chen mit Kir­chen­leu­ten, Chris­ten und Mus­li­men in Sy­ri­en – Beh­nen war in Alep­po, in Da­mas­kus und in den jor­da­ni­schen Grenz­ge­bie­ten un­ter­wegs – kommt sie zu fol­gen­dem Schluss:

„Also es ist ganz klar: Es gibt auf christ­li­cher Seite beide po­li­ti­sche Po­si­tio­nen und es ist ein­deu­tig kein Re­li­gi­ons­kon­flikt, das geht quer durch. Ich glau­be, dass es in dem Kon­flikt ganz un­ter­schied­li­che In­ter­es­sen gibt, auch po­li­ti­sche, dass es ei­gent­lich schon ein re­gio­na­ler Kon­flikt ist, weil die Nach­bar­län­der und die In­ter­na­tio­na­le Ge­mein­schaft mit un­ter­schied­li­chen In­ter­es­sen dar­auf ein­wir­ken. Für die Je­sui­ten vor Ort ist völ­lig klar, dass es ihnen selbst nicht um Po­li­tik, son­dern um hu­ma­ni­tä­re Hilfe geht. Das Lei­den jedes Ein­zel­nen zählt, egal auf wel­cher Seite er steht.“

Das Pro­blem sei frei­lich, dass die Gren­ze der Ge­walt „von bei­den Sei­ten“ über­schrit­ten wor­den sei:

„Beide Sei­ten haben Gren­zen über­schrit­ten, wenn man sich an­hört, wel­che Gräu­el­ta­ten ver­übt wur­den. Da­durch ist eine po­li­ti­sche und fried­li­che Lö­sung zu fin­den, man hat das Ge­fühl, so viele Er­in­ne­run­gen, so viel Wut, Frus­tra­ti­on und An­span­nung ist auf­ge­la­den, an der Ober­flä­che – vor allem in den Zen­tren der gro­ßen Städ­te – scheint das Leben nor­mal wei­ter­zu­ge­hen, doch es droht immer die Ge­fahr, dass es doch es­ka­liert. Viele haben uns ge­sagt: ,Wir glau­ben nicht, dass Kofi An­n­ans Frie­dens­plan auf­geht, son­dern den­ken, es wird wei­ter es­ka­lie­ren.’“

Das ganze In­ter­view mit Ju­dith Beh­nen hören Sie durch An­kli­cken des Laut­spre­cher­sym­bols oben links: Die Mit­ar­bei­te­rin der Je­sui­ten­mis­si­on hat auf ihrer Reise auch zahl­rei­che Mei­nun­gen der sy­ri­schen Be­völ­ke­rung zur po­li­ti­schen Lage in Sy­ri­en ein­ge­fan­gen. Diese Be­rich­te hören Sie im zwei­ten Teil des In­ter­views.

Source: http://www.muenchner-kirchenradio.de/weltkirche/weltkirche/article/syrien-jesuiten-stemmen-sich-gegen-das-fluechtlingsdrama.html