Syrischer Widerstand auf Leinwänden

Article  •  Publié sur Souria Houria le 7 août 2012

Der Fotograf Mohamad Al-Roumi

Was kann man als Künstler gegen den Krieg in der Heimat tun? Eine Gruppe Syrer hat beeindruckende Antworten gefunden. Zu sehen sind diese in einer Berliner Schau.

Ein junger Mann steht vor einer Gitterscheibe, durch die man Damaskus erahnen kann. Er trägt eine Tarnhose, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, die Arme baumeln am Körper. Er lächelt. Wahrscheinlich hat er sich in diesen Tagen eingereiht in die Massen, die auf die syrischen Straßen gehen, gegen das Regime kämpfen, ihre Fäuste in die Höhe recken. Davon ist Mohamad Al-Roumi überzeugt, der Mann, der das Foto des Jungen vor ein paar Jahren aufgenommen hat. Der 67-jährige ist einer der bekanntesten Fotografen Syriens, seit vierzig Jahren pendelt er zwischen seiner Wahlheimat Paris und seinem Geburtsland. Die einfachen Menschen und Arbeiter, sagt er, sind sein Sujet – und dieses Sujet macht gerade Revolution.

Doch das Assad-Regime schlägt mit aller Macht zurück, schießt auf Demonstranten und bombardiert Städte wie Aleppo. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch spricht von Zehntausenden, die in den Gefängnissen des Regimes gefoltert werden, rund eineinhalb Millionen Menschen sind derzeit in Syrien auf der Flucht. Als Al-Roumi vor ein paar Tagen mit seiner 83-jährigen Mutter in Aleppo telefonierte, hörte er die Detonationen im Hintergrund. « Ich gehe hier nicht weg. Ich sterbe hier », hatte seine Mutter trotzig gesagt.

Mohamad Al-Roumi, ein Mann, der gerne mit jungen Menschen zusammen ist, interessiert zuhört und eine kleine Brille auf der Nase trägt, schwankt in diesen Tagen zwischen Ohnmacht und Hoffnung, wie so viele Syrer. Einige von ihnen haben sich nun zusammengetan und stellen ab Dienstag in der Berliner Forum-Factory ihre Kunst aus.

Unter dem Titel KunstStoff Syrien – Ein- und Ausblicke in ein zerrissenes Land sind Fotografien, Grafiken, Malereien, Videos und Musik von zehn syrischen Künstlern und Künstlergruppen zu sehen und zu hören. Die Schau dokumentiert und kommentiert die aktuelle Lage in Syrien – und gibt beeindruckende Antworten darauf, was Kunst in Zeiten der Gewalt, der Unterdrückung und der Revolution leisten kann.

  • DIE AUSSTELLUNG
Die Ausstellung KunstStoff Syrien wird am 07. August 2012 um 19.30 Uhr in der Berliner Forum Factory, Besselstraße 13-14, eröffnet. Sie ist bis 18. August, täglich von 10 bis 18 Uhr, zu sehen. Mehr zur Ausstellung und zum Begleitprogramm finden Sie hier.

Da sind zum Beispiel die Grafiken und Videos der aus Künstlern, Designern, Bloggern und Aktivisten bestehenden Gruppe The Syrian people know their way, die im Februar 2011 eine Facebook-Seitegegründet hatte. Die Seite wird pro Woche zehntausendfach besucht und liefert der Revolution künstlerischen Rückhalt, inhaltliche Analyse und erhellende Satiren. Die Menschen in Syrien, die sich über die offiziellen Nachrichtenkanäle informieren, wissen häufig nicht, was im Land passiert.The Syrian people know their way sehen sich deshalb als Vermittler. Denn in einer Zeit, in der die Diktatur mit aller Macht versucht, jede freie Meinungsäußerung zu unterdrücken, bilden die Kunst und das Internet ein paar der letzten verbliebenen Freiräume.

 

Eine Grafik zeigt eine junge Frau, aus deren Kopf Schmetterlinge fliegen. Dazu steht in arabischer Schrift: « Eure Kugeln töteten nur die Angst in uns. » Der Spruch stammt von Tariq Saloumeh, einem der Gründungsmitglieder der Gruppe. Der 32-Jährige kam vor vier Jahren zum Philosophiestudium nach Berlin. Seinen echten Namen möchte er nicht nennen, aus Angst um seine Familie und seine Freunde in der Heimat. Die Grafik entstand im April 2011, sie war eine Antwort auf die damaligen Proteste in der südsyrischen Stadt Daara, als Soldaten einen Demonstranten erschossen, der unbewaffnet und mit erhobenen Händen auf sie zugelaufen war.

« Eure Kugeln töteten nur die Angst in uns » – diesen Spruch haben inzwischen viele Aktivisten in Syrien übernommen, er ist auf Demonstrationen zu hören oder prangt als Graffito auf Häuserwänden, sagt Saloumeh.

Der in Berlin-Kreuzberg lebende Künstler Ali Kaaf

© Sebastian Meyer

Der in Berlin-Kreuzberg lebende Künstler Ali Kaaf

Saloumeh trifft man derzeit häufig in der Wohnung des in Berlin-Kreuzberg lebenden Künstlers Ali Kaaf. Die Revolution hat auch die Exil-Syrer näher zusammengebracht, berichten diese. « Früher konzentrierte man sich auf seinen eigenen, individuellen Kampf um Freiheit. Jetzt haben wir wieder Hoffnung », sagt Kaaf. Die Ausstellung ist für ihn wie eine Botschaft – an das Ausland, das dem Morden in seiner Heimat tatenlos zuschaut, aber auch an die Syrer selbst.

Das sieht auch Saloumeh so. Weil das Assad-Regime versucht, die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen des Landes gegeneinander auszuspielen, sprechen The Syrian people know their waymit ihren Botschaften gezielt alle Bevölkerungsgruppen des Landes an – ob nun auf arabisch, kurdisch oder aramäisch. Vor allem aber kämpfen Saloumeh und seine Mitstreiter gegen die Behauptung des Regimes, die Aufständischen seien alles islamistische Terroristen.

Tariq Saloumeh sitzt am Schreibtisch, tippt auf seinem Laptop und lädt ein Bild hoch. Darauf sind die Symbole aller in Syrien lebenden Religionsgruppen zu sehen, verbunden mit der Aufforderung, einen säkularen Staat zu formen. « Welche Islamisten machen schon solche Kunst? », fragt Saloumeh. Noch spielen die Islamisten in Syrien keine große Rolle, sagt er. Doch das müsse nicht so bleiben. « Als die Revolution losging, haben wir gesagt: Wir müssen etwas machen. Sonst werden bestimmte Gruppen innerhalb der Opposition die Macht an sich reißen. »

© Tariq Saloumeh

"Seit wann verstehen die mittelalterlichen Diktatoren, was Demokratie heißt?"« Seit wann verstehen die mittelalterlichen Diktatoren, was Demokratie heißt? »

Saloumeh klickt zur nächsten Grafik. Abgebildet sind das iranische Staatsoberhaupt Ali Chamenei und der saudische König Abdullah. Beide haben die Hand zum Gruß erhoben. Auf dem Bild steht: « Seit wann verstehen die mittelalterlichen Diktatoren, was Demokratie heißt? » Es ist eine der vielen Botschaften, die sich gegen jede Einmischung von außen wendet, egal ob vom Westen oder aus der Region. Das syrische Volk kennt seinen Weg – alleine.

Saloumeh und viele von The Syrian people know their way haben erst im Laufe der Zeit gelernt, wie man Videos schneidet, Bilder bearbeitet und Musik mischt. Teamwork habe geholfen. « Es geht uns auch darum, zu zeigen, was wir mit unserer Kreativität in der Zukunft erreichen können. » Der Student hofft, dass er eines Tages eine Zukunft in Syrien haben kann. Dafür aber muss die Revolution siegen.

Mohamad Al-Roumi sagt: « Die Revolution ist kein Schweizer Uhrwerk. Man weiß nicht, wie sie ausgeht. » Einfach nur dasitzen und warten, die Stunden zählen, so viel ist klar, könne man jedenfalls nicht.

source : http://www.zeit.de/kultur/kunst/2012-08/syrische-kunst

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