Die Nusra-Front: gemäßigter Terror? von Sarahr
Die Nusra-Front oder auch Jabhat al-Nusra, zu Deutsch „Unterstützungsfront für das syrische Volk“, ist der syrische Ableger von Al Qaida und wird durch diese Zugehörigkeit von den USA, EU und UNO als Terrororganisation eingestuft. Trotzdem erfahren sie Rückhalt in der syrischen Bevölkerung, kämpfen Seite an Seite mit moderaten Truppen und werden teilweise sogar als gemäßigte Alternative zu ISIS und ernst zunehmender Gegner des Assad Regimes gehandelt. Welche Motive verbergen sich wirklich hinter der Front?
Jabhat al-Nusra zogen in letzter Zeit nicht nur mit ihrem Massaker der 20 Drusen Aufmerksamkeit auf sich. Ende Mai lief ein fragwürdiges Interview auf Al Jazeera-TV, wo zur besten Sendezeit eine Stunde lang der Anführer der Truppe interviewt wurde. Abu Mohammad Al-Golani, wie er sich selbst nennt, stellte dabei seine Organisation als gemäßigte dschihadistische Alternative zu ISIS dar: „Unser Glaube beruht auf Gnade und unseren edlen Traditionen. Wir sind keine Mörder“. Golani hatte sich seit Entstehung der Truppe wiederholt und eindeutig zu Al Qaida bekannt.
Er gab an, dass der Sturz Assads nicht weit sei und dass seine Organisation die nachfolgende Regierung stellen könnte. Sie würden Andersgläubige akzeptieren und nicht verfolgen, wenn diese zum Islam übertreten würden. Golani betonte außerdem, dass sie nicht vorhätten, den Westen anzugreifen.
Kritiker behaupten, dieser Kurswechsel sei offensichtlich auf Anweisung aus Katar und Saudi-Arabien erfolgt. Von dort aus wird nicht nur die Organisation mit Waffen und Finanzen versorgt, was ihnen ermöglichte, weite Teile im Norden des Landes einzunehmen; auch der Nachrichtensender Al Jazeera wird von Katars Herrscherhaus finanziert. So konnten die Truppe sich vor möglichst großem Publikum so darstellen, wie es ihren Unterstützern gefällt: als gemäßigte, islamische Kämpfer, die vor Allem den Sturz Assads im Sinn haben.
Mittlerweile bildet die JN zusammen mit weiteren Milizen die Jaish al Fatah, die „Allianz der Eroberung“. Gemeinsam eroberten sie die Provinzhauptstadt Idlib im Nordwesten des Landes, die Stadt Ariha und weiteres Gelände an der Grenze zu Jordanien. Weitere Ziele sollen Hama, Aleppo und Latakia sein.
Mehr Fragen als Antworten
Der Versuch, mehr über die Hintergründe und Vergangenheit dieser Truppe herauszufinden, ergibt wenige, teils widersprüchliche Informationen. Die Front soll sich 2011 oder 2012 aus Al Qaida im Irak bzw. ISIS entwickelt haben. Eine erste Videobotschaft tauchte 2012 auf. Später soll es zu Streitigkeiten gekommen sein, die so tiefe Spuren hinterließen, dass die beiden Truppen sich verfeindeten. Angeblich soll die Konkurrenz um Öl-Gewinne, also wirtschafliche Aspekte, die Wurzel der Auseinandersetzungen bilden. Andere Quellen geben an, ISIS und JN hätten noch 2014 gemeinsam an einem Angriff im Nordlibanon mitgewirkt. Der Rückhalt durch die syrische Bevölkerung und die Kooperation mit moderateren Oppositionstruppen erklären sich hauptsächlich durch das gemeinsame Motiv, sowohl dem Assad-Regime als auch ISIS zu trotzen, und vielleicht auch durch die Tatsache, dass die Truppe im Gegensatz zu ISIS aus einem hohen Anteil von Syrern besteht.
Eindeutige Erklärungen für die fehlenden Informationen und Widersprüche zu finden, gestaltet sich als schwierig. Die Verwirrung wächst nicht nur im Dschungel der verschiedenen Milizen wie der Nusra-Front, sondern auch bezüglich vieler weiterer Aspekte des andauernden Krieges, in dem die Fronten von Monat zu Monat unklarer werden. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bezeichnet Syrien als das weltweit gefährlichste Land für Journalisten; objektive und zuverlässige Informationsquellen sind demnach eingeschränkt. Dass es in diesem Zustand, besonders für Außenstehende, oftmals mehr Fragen als Antworten gibt, ist nicht verwunderlich.
Eine gemäßigte Alternative zu ISIS?
Eines scheint trotzdem klar zu sein: Die Nusra-Font ist keine Alternative zu ISIS. Einige sehen die Nusra-Front als effektiven Gegner sowohl Assads als auch ISIS. Menschenrechtler und Terror-Experten warnen dagegen vor der Organisation. Laut Human Rights Watch ist die Nusra-Front für eine Vielzahl systematischer Menschenrechtsverletzungen verantwortlich: dazu gehören Angriffe auf Zivilisten, Entführungen und Hinrichtungen.
Auch die Ideologien der beiden Milizen stimmen überein: die Nusra-Front möchte ebenfalls ein Kalifat errichten, geht brutal in der Umsetzung islamischen Rechts vor – so wurden unter Anderem Männer und Frauen von ihnen zu Tode gesteinigt, wenn die von ihnen eingeführten strikten Vorschriften der Scharia nicht eingehalten wurden – und sie greifen ebenfalls religiöse Minderheiten an. Der Soziologe Haid Haid beschreibt die neue Strategie al-Nusras, sich wie im Al Jazeera Interview als gemäßigte Kämpfer darzustellen, als Antwort auf die wachsende öffentliche Kritik gegen die Organisation. Der Höhepunkt der Unzufriedenheit mit al-Nusras Vorgehensweise zeigte sich während eines Kampfes in al-Atarib zwischen Hazm und der Terrormiliz, als Anwohner bewaffneten Checkpoints aufbauten und der Front damit den Eintritt in die Stadt verwehrten. Weiterhin griffen JN andere, moderate Truppen an, wenn sie sich in ihrer Machtposition bedroht fühlten. Golani bestätigte außerdem, dass die Organisation sich nie von Al Qaida distanzieren wird.
source : https://www.adoptrevolution.org/die-nusra-front-gemaessigter-terror/
date : 29/07/2015