Drei deutsche Fragen – Rosa Yassin Hassan über eine Diskussionsrunde in Deutschland – on Aktivistin aus dem Untergrund
An diesem 16. September ist Damaskus nicht die Stadt, die ich kenne. Über dem Süden, dort, wo die Stadtteile Kadam und Camp Yarmouk liegen, steigen Rauchsäulen auf. Im Osten, bei Dschober und Zamalka, bedeckt eine riesige dunkle Wolke den Himmel. Und im Norden stehen Barzeh, Al Balad und Al Tal in Flammen. Damaskus ist von Tod und Feuer umgeben, Militärflugzeuge donnern darüber hinweg und bombardieren die Ausläufer. In der Luft hängt der Geruch von Zerstörung, Angst und schmerzlicher Erwartungen.
Eine islamistische Revolution?
Es ist der Tag, an dem ich meine Heimatstadt nach 37 Jahren verlasse. Meinen Sohn nehme ich mit, aber meine Seele lasse ich zwischen den Rauchsäulen zurück, wo seit 18 Monaten das Herz der Revolution schlägt. Als mir eine Dame auf einer Diskussionsveranstaltung in Deutschland eine Frage stellt, die ich auf fast jedem Podium beantworten muss, denke ich an diesen Tag. „Wie können Sie eine islamistische Revolution unterstützen, die aus Ihnen eine unterdrückte Frau machen wird?“
„Islamophobie“ schießt mir ein Wort durch den Kopf, das ich erst in Deutschland kennengelernt habe. Trotzdem antworte ich wie immer auf die Frage: „Nicht der Islam hat diese Revolution angestoßen, sondern die Sehnsucht nach Freiheit und Würde, nach einem Stück Brot und dem Recht auf Leben. Auch wenn das Assad-Regime und westliche Medien etwas anderes propagieren: Das sind die Gründe für unsere Revolution. Diese Revolution ist ein Volksaufstand und kein heiliger Krieg.“ Dabei versuche ich, meine Wut zu unterdrücken, denn die Dame ist freundlich.
„Warum rufen die Bewaffneten dann islamische Sprüche?“, fragt sie weiter, diesmal etwas weniger freundlich. – „Auch wenn das einige tun, handelt es sich noch lange nicht um einen religiös motivierten Aufstand. Es gibt auch viele Bewaffnete, die weder mit dem Islam noch sonst einer Religion etwas am Hut haben. Wenige religiös-fundamentalistische Gruppen versuchen leider, die Revolution für ihre Sache auszunutzen. Sie erwecken den Anschein, es sei ihre Revolution, was uns sehr schadet. Aber in Syrien wird ein gemäßigter Islam praktiziert, Fundamentalisten sind selten.“ Doch das scheint sie nicht zu überzeugen.
Es bedrückt mich, wenn ich mich rechtfertigen muss. Eigentlich hätte ich doch selbst allen Grund, die anderen anzuklagen, die nichts für die Wahrung der Menschenrechte in meinem Land zu tun.
Ich erzähle von den Massakern und Gräueltaten an Zivilisten und der brutalen, systematischen Niederschlagung des unbewaffneten Aufstands. Immer mehr Menschen verlassen den Raum. „Sie mögen das Gerede über Tod und Massaker nicht“, zischt mir die Übersetzerin zu. „Lass sie sich ärgern“, flüstere ich zurück, „auch jetzt, in diesem Moment sterben in Syrien Menschen.“
Syrischer Konfessionalismus?
Trotzdem ärgere ich mich, dass die Zuhörer nicht einmal ein paar Minuten folgen können, wenn ich von Leid und Tod spreche. Wie erniedrigend, dass es sie langweilt, wenn in Syrien Menschen sterben. Ich erzähle einfach weiter, bis der Saal fast leer ist und nur diejenigen bleiben, in deren Augen ich Sympathie und Anteilnahme erkennen kann.
Dann hebt ein Mann die Hand und fragt, was ich schon oft gehört habe: „Sie verteidigen also eine sektiererische Revolution?“ Er klingt vorwurfsvoll. – „Wer sagt, dass es sich um einen Konflikt zwischen den Konfessionen handelt?“, frage ich zurück, getroffen, weil ich Konfessionalismus aus tiefstem Herzen ablehne. – „Die sunnitische Mehrheit kämpft doch gegen alle Minderheiten“, antwortet er, als sei er es, der aus Syrien stammt.
Ich unterdrücke meine aufsteigende Wut als ich daran denke, wie Aktivisten aller Minderheiten Schulter an Schulter auf Demonstrationen waren und wie alle in Syrien gemeinsam Liebe, Trauer, Angst und Zusammenhalt gespürt haben. Auch an Ereignisse mit religiösem Hintergrund denke ich, die ich immer als Randerscheinungen abgetan habe.
„Sie irren. Die Revolution ist kein Aufstand von Sunniten gegen die Minderheiten. Der Konfessionalismus ist eine Lüge, die mit dem Regime verschwinden wird.“ – „Warum sind dann alle Demonstranten Sunniten?“ – „Sie sind in der Mehrheit, aber 70 Prozent der Gesellschaft sind sunnitisch.“ – „Und Sie?“, fragt er. – „Ich bin Syrerin.“ – „Nein, ich meine, was ist Ihre Konfession?“
Ich schweige, denn ich kenne den Versuch, mir eine Antwort auf diese Frage zu entlocken. Das Publikum hört nur, was es hören will und letzten Endes stehe ich selbst am Pranger.
Warum fehlen die Frauen?
Es folgt die dritte, die aggressivste Frage: „Warum fehlen die syrischen Frauen bei der Revolution?“ Auch hier klingt eine Vorverurteilung mit, als wäre es keine Frage, sondern die Konfrontation mit einem Beweis.
„Am Anfang waren fast alle Demonstrationen gemischt, es gab sogar reine Frauendemos. Doch mit der zunehmenden Gewalt gegen die Proteste haben sich viele Frauen entschieden, nicht ihr Leben zu riskieren.“ – „Und bei der bewaffneten Opposition?“ – „In der Regel sind Frauen nicht ausgebildet, Waffen zu tragen.“ – „Also spielen sie doch keine Rolle?“ – „Doch, die Revolution besteht aus mehr, als dem bewaffnetem Kampf.“ Obwohl ich das mit vielen Geschichten belege, ist die Fragende nicht überzeugt.
Nach zwei Monaten Diskussionsrunden in Deutschland ist mir inzwischen klar, dass der Blick der Menschen auf die Revolution verengt ist und sie das große Bild nicht mehr erkennen. Die drei Fragen sind ein Beispiel dafür, dass sich alle auf einen kleinen schwarzen Fleck konzentrieren und deshalb die schönen, hellen Teile der Revolution übersehen.
Damit übersehen sie auch Millionen syrischer Flüchtlinge, hunderttausende Gefangene, zehntausende Tote und hunderte zerstörte Städte und Dörfer, sowie die Verletzung der Menschenrechte, die sie doch immer verteidigen wollen. Nach jeder Diskussion tut mir deshalb das Herz vor Trauer weh. Doch außer Diskussionen und Schreiben bleibt mir nichts, um Teil dieser Revolution zu sein, denn meine Heimat musste ich verlassen.
Rosa Yassin Hassan ist Schriftstellerin und wurde für ihre Kurzgeschichten 1992 und 1994 mit dem Syrischen Literaturpreis ausgezeichnet. Am 16. September 2012 verließ sie Damaskus und lebt seitdem in Deutschland.