Drohende Katastrophe in Aleppo: „Schämt euch!“
Seit einer Woche ist der Osten der einstigen Metropole Aleppo unter Belagerung. Es droht eine Katastrophe, die sich fast zwei Jahre lang angekündigt hat.
Keine 24 Stunden währte die Anfang Juli durch das syrische Regime verkündete dreitägige Waffenruhe anlässlich des Ende des Ramadan. Noch in der ersten Nacht starteten die staatlichen Truppen mit russischer und iranischer Unterstützung heftige Angriffe auf den von Rebellen kontrollierten Osten Aleppos. Seit einer Woche ist die letzte Versorgungsstraße nicht mehr passierbar. Den bis zu 300.000 verbliebenen EinwohnerInnen droht eine lange und brutale Belagerung unter permanentem Bombardement.
B. ist Koordinator der Zivilen Verteidigungskräfte in Aleppo. Die sogenannten Weißhelme sind eine Gruppe von Ersthelfern, die zu den Verletzten und Toten eilt, wenn die Bomben gefallen sind, um zu retten was zu retten ist. „Das Regime will diese Straße und die Belagerung unbedingt“, sagt er. Dass ein Befreiungsschlag gelingen könnte glaubt B. nicht. Die Märkte seien fast leergekauft. „Die Menschen drehen durch. Die ersten haben kein Brot mehr bekommen. Die Leute wissen, was an belagerten Orten wie Daraya geschehen ist und haben Angst.“
Es sind kräftezehrende Tage für sie. „Es ist eine Tragödie und die Granaten und Bomben hören nicht auf“, berichtet B. Seine Stimme dringt nur gedämpft durch die Lautsprecher, er wirkt mitgenommen. Und das, obwohl er seit Jahren diesen gefährlichen Job macht und den Gefahren trotzt.
Morgens gegen sechs Uhr fangen die Angriffe Russlands und des Regimes auf die Stadt an, dann sind B. und seine Mistreiter zur Stelle. „Die allermeisten Angriffe treffen Zivilisten“, erzählt er. Manchmal brauche es bis zu elf Stunden, bis sie alle Toten aus den Trümmern geborgen hätten. Immer öfter, erklärt er, nutzten die Kampfpiloten über Aleppo auch Brandbomben.
Allein in den den letzten drei Tagen haben die Zivilen Verteidigungskräfte zwei ihrer Leute verloren. Sie waren auf dem Weg zum Einschlagort einer Bombe, als sie getötet wurden. Mehrmals seien sie in den letzten Wochen gezielt Opfer von Angriffen geworden, ist sich B. sicher. Immer wieder fallen die Bomben auch nahe ihres Hauptquartiers.
Hört man ihm zu, so kann man einen Eindruck davon gewinnen, wie stark die Resignation der Menschen sein muss, die wieder einmal allein gelassen wurden. Ob B. irgendetwas vom Westen oder der internationalen Gemeinschaft erwartet? „Ich erwarte überhaupt nichts mehr“, sagt er. „Ich habe das Gefühl, dass man die Angriffe und diese Belagerung international duldet. Sie wollen, dass die Opposition an den Verhandlungstisch geht und dazu gezwungen ist irgendeinen Deal abzuschließen.“
Es nicht nicht leicht dieser Tage deutliche Stellungnahmen aus der internationalen Politik zur verheerenden Lage in Aleppo zu finden. Das Auswärtigen Amt der Bundesrepublik hat etwa eine kurze Pressemitteilung von wenigen Zeilen veröffentlicht. Eine kühle Beschreibung der Sachlage sowie ein Aufruf zu Verhandlungen. Keine Verurteilung des Vorgehens von Assad-Regime und Kreml, noch nicht einmal die übliche „Besorgnis“ angesichts der Situation. Auch ansonsten überwiegt eisiges Schweigen. B. hat dafür deutliche Worte übrig: „Schämt euch!“
Sollte es zum Schlimmsten kommen, so muss zumindest die humanitäre Versorgung der Bevölkerung sichergestellt werden. Auch die syrische Zivilgesellschaft fordert den UN-Koordinator für humanitäre Hilfe in Syrien, Yacoub El Hillo, dazu auf, mehr Mut zu zeigen, wenn es um die Versorgung von ZivilistInnen geht. Unterstützen Sie den Aufruf der syrischen Zivilgesellschaft an die Vereinten Nationen, sich stärker für die belagerten Gebiete einzusetzen.16