Droht das nächste Aleppo? – von Jan
In den östlichen Damaszener Vororten droht der jüngste brüchige Waffenstillstand zur Farce zu verkommen. Das Assad-Regime und seine Verbündeten scheinen dazu entschlossen, das Gebiet zurückzuerobern. Die Bomben bedrohen dabei nicht nur die Menschen vor Ort, sondern auch die Friedensgespräche die in drei Wochen in Genf stattfinden sollen.
Eigentlich gilt in Syrien noch immer die von Russland und der Türkei ausgehandelte Waffenruhe. Doch allein am Dienstag kam es zu mindestens zehn Luftangriffen auf den Damaszener Vorort Erbin, sowie zu weiteren Angriffen auf andere Städte der Region. Zugleich griffen die Armee und ihre loyalen Milizen die nahegelegene Autobahn nach Homs an. Mehrere Zivilisten und Kämpfer beider Seiten starben. Es ist nicht der erste Bruch der seit Ende Dezember geltenden Waffenruhe in der Region Ost-Ghouta, immer wieder kam es dort und in anderen umliegenden Städten zu Luftangriffen und heftigen Kämpfen. Rund 300.000 Menschen leben noch immer in diesem Vorortgürtel. Seit Mitte 2013 wird er durch die Truppen des Regimes belagert.
Am 3. Februar wurde den Menschen in Ost-Ghouta eine Frist von zehn Tagen gegeben, um das Gebiet zu verlassen. Das Regime-nahe Onlineportal al-Masdar News berichtet, dass die syrische Armee eine breit angelegte Militäroffensive „in der nahen Zukunft“ plane, um die Region zuerst in vier Sektionen zu spalten.
Eine bewährte Strategie
Wieder einmal scheinen Russland, der Iran und das Regime auf eine bewährte Strategie zu setzen: Erst kommt die Hungerblockade, meist kombiniert mit rücksichtslosem Bombardement. Dann werden Fristen gesetzt um einen Teil der Bevölkerung zu vertreiben, bevor es zu einer weiteren Offensive kommt, die schließlich in eine „Evakuierung“ mündet, die alle Auftständischen sowie große Teile der Bevölkerung in die nördlichen Provinzen Idlib und Aleppo vertreibt. So agierte das Regime bereits in Daraya, Moadamiyah, Qudsaya, Ost-Aleppo sowie mehreren anderen Städten.
Militärisch wird Ost-Ghouta vor allem von den Milizen Jaysh al-Islam, Faylaq al-Rahman sowie Ahrar al-Sham dominiert. Immer wieder protestierten Aktivisten erfolgreich gegen die Willkürherrschaft dieser radikalen Gruppen und ihre Einmischung in zivile Belange. Nun werden genau diese Menschen, die sich unter Lebensgefahren gegen jegliche Formen der autoritären Herrschaft wehren, durch die neue militärische Offensive des syrischen Regimes bedroht.
Dabei waren es Russland und die Türkei, die all diese militärischen Gruppen zu den Verhandlungen in Astana im Januar einluden und sie explizit nicht als Terrororganisation klassifizierten. Besonders pikant: Der Verhandlungsführer der militanten Opposition bei der Konferenz war Mohammed Alloush, eine Führungsfigur von Jaysh al-Islam.
Der Aktivist Abdulsattar, Partner von Adopt a Revolution in Erbin, spekuliert, dass ein Fokus des Regimes auf Qaboun und Barzeh, nordwestlich des belagerten Gebiets, liegen dürfte. Mit einer Eroberung dieser Stadtteile (für beide gelten lokale Waffenstillstände) würden die Tunnel unbrauchbar, über die Waffen und Lebensmittel nach Ost-Ghouta geschmuggelt werden. So würde die Belagerung Ost-Ghoutas deutlich verschärft. Diese ist bislang vergleichsweise wenig brutal – nicht nur wegen der Tunnel, sondern auch wegen der Korruption in der syrischen Armee und weil Agrarland im belagerten Gebiet existiert. Letzteres wurde jedoch während der letzten anderthalb Jahre durch das Vorrücken der Armee bereits deutlich dezimiert. Für Abdulsattars Theorie spricht auch, dass es in Qaboun am 2. Februar zum ersten Luftangriff seit Jahren kam. Dabei starben drei Mitarbeiter einer humanitären Partnerorganisation von Adopt a Revolution.
Kein gutes Zeichen für Genf
Ende Februar soll in Genf unter der Schirmherrschaft der UN weiter über den Friedensprozess in Syrien verhandelt werden. Die neue Offensive des Assad Regimes in Ost-Ghouta gefährdet diesen Prozess massiv. Aber nicht nur die Geschehnisse in Ost-Ghouta lassen daran zweifeln, ob das syrische Regime überhaupt über Frieden verhandeln will. Belgischen Medien gegenüber gab Bashar al-Assad jüngst zu Protokoll, dass Frieden nicht in erster Linie mit Verhandlungen erreicht werden könne, sondern mit der Bekämpfung von Terroristen. Doch Assad hat das Heft längst nicht mehr in der Hand. Wie sich die Lage in Ost-Ghouta entwickeln wird ist noch völlig unklar und hängt vor allem vom Agieren Teherans und Moskaus ab. Den zivilgesellschaftlichen Aktivisten in Ost-Ghouta bleiben nur noch wenige Tage bis das Ultimatum abläuft. Sie wissen: Wenn das Regime von Terroristen spricht, meint es längst nicht nur Bewaffnete, sondern alle, die in Opposition zur Führung in Damaskus stehen.