Hunger als Waffe – von Markus Bickel

Brot: Eine Syrerin in Minbidsch
Die Berichte aus Syrien, nach denen die Bevölkerung gezielt ausgehungert wird, mehren sich. Zivilisten werden nicht aus dem Land gelassen, Hilfsorganisationen kommen nicht hinein. Der nahende Winter könnte die Lage nun weiter verschlimmern.
„Bis zur Unterwerfung“
Die jüngsten Berichte der Flüchtlinge aus Homs, Hama, Aleppo und Damaskus bezeichnet Springer als das Schlimmste, was er bislang gehört habe. Aus den Erzählungen gehe hervor, dass das Assad-Regime das Aushungern von Zivilisten gezielt als Kriegstaktik einsetze. Gegenden, in denen es den Regierungseinheiten auch zweieinhalb Jahre nach Beginn des Aufstands gegen Assad nicht gelungen sei, die revolutionäre Bewegung zu zerschlagen, schnüre die Armee nun gezielt von der Versorgung ab.
Berichte, dass Assad den Würgegriff gegen die aufständischen Viertel bewusst einsetzt, mehren sich. Im Oktober schrieb das „Wall Street Journal“, dass das im Südwesten der Hauptstadt gelegene Muadamija systematisch ausgehungert werde. Nur noch 9.000 Menschen sind in der einst 60.000 Einwohner zählenden Gemeinde verblieben, die seit einem Jahr von Regimetruppen belagert wird. „Wir werden es nicht zulassen, dass diese Menschen ernährt werden, nur um uns zu töten“, zitierte die Zeitung einen Assad treuen Paramilitär im von der Regierung kontrollierten Teil der Stadt. Die Nachrichtenagentur Reuters sprach mit einem Soldaten, der die Einkesselung der von den Aufständischen gehaltenen Orte als „Aktion Aushungern bis zur Unterwerfung“ bezeichnete.
Im September forderten die Vereinten Nationen „ungehinderten Zugang“ zu sämtlichen belagerten Gebieten. Mehr als eine halbe Million Menschen seien in den von der Opposition gehaltenen Vorstädten von Damaskus eingeschlossen. Doch der Hilferuf verhallte ungehört. Mitte Oktober gab die Weltgesundheitsorganisation WHO den Ausbruch von Polio in Syrien bekannt – eine Bedrohung auch für die Nachbarstaaten, in der zwanzig Millionen Kinder gegen die Krankheit geimpft werden sollen.
Auf ihren Mobiltelefonen hätten die Flüchtlinge ihm Bilder aus den belagerten Stadtteilen gezeigt, sagt Springer. Brot, Wasser und Milch gebe es an vielen Orten schon lange nicht mehr – Gras und Blätter würden inzwischen verspeist, Katzen, Hunde und Esel. Und nicht nur Vorstädte von Damaskus wie Muadamija, wo bei einem Giftgasangriff auf ein von den Aufständischen gehaltenes Viertel im August viele Menschen getötet wurden, sind von der neuen Kriegstaktik betroffen: In Homs und Hama, Aleppo und Idlib gehe das Regime ebenfalls auf diese Weise gegen die Bevölkerung vor. Zivilisten werden nicht heraus-, internationale Hilfsorganisationen nicht hineingelassen.
Auch Gegner Assads greifen zu solchen Methoden. So hatte es etwa in Aleppo Proteste gegeben, weil eine Rebellenbrigade einen Stadtteil aushungern wollte, in dem Anhänger des Regimes leben. Erschwert wird das Überleben der Zivilbevölkerung auch durch gestiegene Preise für Grundnahrungsmittel. Vier Millionen Syrer, unter ihnen die Hälfte Kinder, sind nach Angaben der Hilfsorganisation Save the Children von Unterernährung bedroht, und im nahen Winter besteht die Gefahr, dass die Lage sich weiter verschlechtert.
In Muadamija etwa sind noch immer Tausende eingekesselt und vom Hungertod bedroht; Scharfschützen verhindern, dass Schmuggler Medikamente und Nahrungsmittel in die Stadt bringen. Die Vorräte an Mehl sind längst aufgebraucht, berichten Einheimische. Und auch Strom gibt es kaum noch. Nur einer Gruppe von anderthalb Tausend Frauen und Kindern erlaubte das Regime im Oktober, die belagerte Vorstadt zu verlassen. Sieben Versuche hat allein der Rote Halbmond dieses Jahr unternommen, Hilfsgüter nach Muadamija zu bringen, doch alle seien gescheitert, sagen Mitarbeiter der Organisation. Und das, obwohl alle notwendigen Papiere der Regierung vorgelegen hätten.
source : http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/syrien-hunger-als-waffe-12659051.html
date : 11/11/2013