Krieg statt Kreide

Article  •  Publié sur Souria Houria le 25 septembre 2012

In Syrien sind die Ferien vorbei, doch längst nicht alle Kinder gehen wieder zum Unterricht. Denn Hunderte Schulen sind zerstört oder zu Flüchtlingslagern umfunktioniert. Tausende Kinder müssen deswegen zu Hause bleiben.

Die neunjährige Rauan Mustafa kann in diesem Jahr nicht zur Schule gehen: Das Schulgebäude im Norden von Syrien ist zerstört, seit ein Flugzeug vor zwei Monaten hier Bomben abwarf. « Ich komme her, um Bücher zu suchen, die ich zum Lesen mit nach Hause nehme, meine Schwester hilft mir dabei », sagt Rauan, während sie den Schutt und halbverbrannte Schulbücher durchwühlt.

Am Sonntag vor einer Woche war offizieller Schulanfang in Syrien, doch der Bürgerkrieg hält Tausende Schüler wie Rauan vom Unterricht fern. Die Schulen sind entweder zerstört oder halten als Auffanglager für Flüchtlinge her. Einige Eltern haben auch Angst, angesichts drohender Gewalt ihre Kinder zum Unterricht zu schicken. Andere Kinder wiederum sind selbst zu Flüchtlingen geworden, die außer Landes flohen und daher in der Schule fehlen.Vor 18 Monate begannen die Proteste, inzwischen sind sie in einen Bürgerkrieg umgeschlagen – wie viele Kinder deswegen in der Schule fehlen, ist ungewiss. Die Unicef-Abgesandte und Bildungsberaterin für die Region, Dina Craissati, schätzt, dass mindestens 200.000 syrische Kinder keinen Zugang zu Bildung haben, weil sie fliehen mussten. Vielleicht sind es aber auch viel mehr.

Unterricht im Schichtbetrieb

Etwa 2000 Schule wurden während des Konflikts beschädigt oder zerstört, fast 760 Schulen seien zu Notunterkünften umfunktioniert worden, teilte der syrische Bildungsminister Haswan al-Wass mit. Nach Angaben der Regierung wird an 22.000 Schulen weiter unterrichtet, manche unterrichten auch in Schichten, weil sie zusätzlich Kinder von geschlossenen Schulen aufgenommen haben. Am Sonntag hätten fünf Millionen Schüler am Unterricht teilgenommen.

Der zehnjährige Mohammed Rakani aus Sbeine, einem Vorort von Damaskus, gehörte nicht dazu. Er lebt mit seiner Familie in der Schule Somaja al-Machsomija in Damaskus, wo etwa 300 Flüchtlinge aus 65 Familien leben. « Ich will wieder zurück zur Schule, die ich so sehr liebe », sagt Mohammed während eines Besuchs in der Schule, den die syrische Regierung organisiert hat.

Im von Aufständischen kontrollierten Norden des Landes erklären Kommandeure der Rebellen, sie seien zu sehr beschäftigt, um sich um schulische Angelegenheiten zu kümmern. « Zurzeit liegt unser Fokus auf Essen, Unterkunft und medizinischer Versorgung », sagt Seif al-Hak, der zur Rebellengruppe Tauhid-Brigade gehört. Sie kümmert sich um zivile Angelegenheiten in der zweitgrößten Stadt des Landes, Aleppo, und der Umgebung.

« Vielleicht gehe ich Schafe füttern »

In den Gebieten in und um Aleppo finde kein Unterricht statt, sagt al-Hak, alle Schulen seien zerstört worden. « Wir versuchen im Untergrund Unterricht zu organisieren, wie Englisch- oder Computerunterricht. » Sie befürchteten, dass notdürftig errichtete Schulen Luftangriffe auf sich ziehen könnten.

Auch der Physiklehrer Abu Ahmed in Tel Rifaat sagt, manche hätten überlegt, privat Unterricht zu organisieren – letztlich entschieden sie sich aus dem gleichen Grund dagegen. « Sie zielen überall dorthin, wo Menschen sich versammeln », sagt Ahmed, der seinen echten Namen nicht nennen wollte.

Zudem sind viele Lehrer aus der Nordprovinz selbst geflohen. Mohammed Ibrahim steht in einer Schulruine und sagt, Mathe sei sein Lieblingsfach, weil es seinen Kopf in Schwung bringe. Trotzdem war ihm sein Arabischlehrer immer am liebsten, weil er nie böse geworden sei. Aber er sei jetzt weg, genauso wie viele seiner Freunde. « Ich bin traurig, weil sie nicht hier sind », sagt der Junge. « Es ist langweilig ohne sie. »Warum so viele Schulen getroffen werden, ist nicht ganz klar. Die Anwohner von Kal Dschibreen sagen, ihre Schule sei nie von Rebellen genutzt worden, doch sei sie am Samstag fast von einer Rakete getroffen worden. Das Geschoss riss die Fassade eines benachbarten Hauses ein. Vor wenigen Wochen schlug eins im Schuldach ein und ließ die meisten Fenster zerspringen.

« Heute sollten wir alle in der Schule sein, aber wir dürfen wegen der Flugzeuge nicht hin », sagt Dargham Jassin, ein zwölfjähriger Junge mit Brille, der wie viele syrische Kinder jünger aussieht, als er ist. Ohne Schule wisse er nicht, was er mit sich anfangen solle. « Ich mache nichts », sagt er. « Vielleicht gehe ich Schafe füttern. »

Dale Gavlak/Paul Schemm/dapd/fln

 

source : http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/krieg-in-syrien-kinder-koennen-wegen-gewalt-nicht-zur-schule-gehen-a-857055.html