Selbstzerfleischung der syrischen Opposition. Kritik von Aktivisten bewegt den Präsidenten des Syrischen Nationalrats zum Rücktritt – par Jürg Bischoff

Article  •  Publié sur Souria Houria le 19 mai 2012

Burhan Ghalioun an einer Pressekonferenz in Tokio, 11. Mai 2012. (Bild: Keystone / EPA)

(Titre : Auto-destruction de l’opposition syrienne. La critique des activistes pousse le Président de la Conseil National Syrien à démissionner)

Ein Netzwerk von Aktivisten wirft der Dachorganisation der syrischen Opposition Inkompetenz vor. Die Spannungendrohen weiter zu eskalieren.

Burhan Ghalioun, der Präsident des Syrischen Nationalrats (SNC), hat am Donnerstag bekanntgegeben, dass er von seinem Posten zurücktreten werde, sobald ein Ersatz für ihn gefunden sei. Die Dauerkrise, welche die wichtigste Organisation der syrischen Opposition seit ihrer Gründung heimsucht, hat damit einen neuen Höhepunkt erreicht. Er kommt einigermassen überraschend, wurde Ghalioun doch erst am Dienstag vom SNC für eine weitere dreimonatige Periode wiedergewählt.

«Inkompetenter SNC»

Ghalioun musste seit seiner Wahl zum ersten Präsidenten des SNC im September 2011 viel Kritik aus den eigenen Reihen über sich ergehen lassen. Die einen warfen ihm einen diktatorischen Führungsstil vor, andere, die Dominanz der Muslimbrüder im SNC zu kaschieren. Die Zerstrittenheit unter den vielen Gruppen und Persönlichkeiten der oppositionellen Dachorganisation wurde Ghalioun zur Last gelegt, ebenso wie die mangelnde Verbindung der Führer im Exil mit den revolutionären Gruppen im Lande selbst.

Den Ausschlag zu Ghaliouns Rücktrittsangebot haben aber die Lokalen Koordinationskomitees (LCC) gegeben, ein Netzwerk von Aktivistengruppen, das die Aktionen der Aufständischen koordiniert und darüber Informationen verbreitet. Die LCC stellen zwar längst nicht die einzige, wohl aber eine der ältesten und effizientesten Organisationsformen dar, welche der Aufstand gegen das Asad-Regime hervorgebracht hat. In einer Erklärung, die sie am Donnerstag auf ihre Facebook-Seite stellten, drohten die LCC mit ihrem Austritt aus dem SNC. In ihrem Schreiben werfen die Aktivisten dem Exekutivrat und dem Sekretariat des SNC vor, wichtige Entscheidungen selbst zu treffen und die Vertreter der revolutionären Gruppen im Lande zu marginalisieren. Die Wiederwahl Ghaliouns führen sie als Beispiel für dieses Verhalten an. Trotz der Inkompetenz der Opposition, das syrische Volk politisch zu vertreten und ihm die dringend benötigte Hilfe zu bringen, werde die Revolution weitergehen, geloben die Aktivisten.

Das Communiqué stellt einen Schlag für die Legitimität des SNC dar, nicht nur bei den Aktivisten im Lande selbst. Es bekräftigt auch Zweifel arabischer und westlicher Regierungen, die im SNC zwar die Keimzelle einer provisorischen Regierung Syriens sehen, aber befürchten, dass Ghaliouns Organisation zu schwach ist, im Falle eines Zusammenbruchs des Regimes die Zügel im Lande zu übernehmen.

Hilfslieferungen aus den USA

Die Regierungen, die den Regimewechsel in Syrien unterstützen, haben dem SNC die Anerkennung als einzigem Vertreter der Opposition bisher verweigert. Nach langem Zögern scheinen die USA nun dem Drängen Katars und Saudiarabiens nachzugeben, den syrischen Rebellen eine substanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Washington will nur «nichttödliches» Material liefern, so dass die Finanzierung der Waffen aus dem Golf kommt. Westliche Staaten sehen im SNC und in der mit dem SNC liierten «Freien Syrischen Armee» einen Kanal zur Verteilung der Hilfe. Die Geldgeber in den Golfstaaten dürften hingegen versuchen, islamistische Gruppen zu unterstützen. Das Bemühen, an die Hilfe aus dem Ausland heranzukommen, dürfte sowohl die Konkurrenz unter den zahlreichen Gruppen wie auch die Spannungen innerhalb der Opposition anheizen.

Source : http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/selbstzerfleischung-der-syrischen-opposition_1.16948820.html