Syrische Mediziner im Libanon – Die Rebellen-Ärzte von Tripoli – von Raniah Salloum

Article  •  Publié sur Souria Houria le 15 octobre 2012

In der Heimat ist die Arbeit für sie zu gefährlich. Syrische Ärzte behandeln verletzte Rebellen und Zivilisten deshalb in libanesischen Krankenhäusern – die meisten Eingriffe sind Amputationen.

Besonders diskret ist Dschad nicht, was seine Haltung zum Krieg in Syrien angeht. Groß prangt auf der Rückseite seines Laptops die grün-weiß-schwarze Flagge der Assad-Gegner. Der 24-jährige Syrer mit kurzen rotbraunen Haaren und Dreitagebart arbeitet seit ein paar Monaten als Krankenpfleger in dem libanesischen Krankenhaus Dar al-Zahra in Tripoli. Trotzdem er täglich Schwerverwundete betreut, scheint er grundsätzlich gute Laune zu haben.

Das libanesische Krankenhaus hat Dschad kostenlos ein Büro zur Verfügung gestellt, das er sich mit einem syrischen Arzt teilt. Der arbeitete bis vor einem halben Jahr noch in der Revolutionshochburg Rastan bei Homs, bis es ihm zu riskant wurde. Aus Angst vor möglicher Verfolgung will er nicht mehr erzählen.

 

Systematisch werden in Syrien Ärzte verfolgt, die Verletzte behandeln, die das Regime für Assad-Gegner hält. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um Zivilisten oder Rebellenkämpfer handelt. Immer wieder werden Krankeneinrichtungen gezielt unter Beschuss genommen in Gebieten, die der Kontrolle des Regimes entglitten sind. Patienten, die länger in Behandlung bleiben müssen, werden daher über die Grenze geschickt, in dieTürkei und in den Libanon. Auch syrische Ärzte, die den Verwundeten helfen wollen, fliehen inzwischen dorthin.

Der Libanon mischt in Syrien auf beiden Seiten mit

Wenn Dschad, in Sneakers, Jeans und T-Shirt, von Zimmer zu Zimmer geht, begrüßen ihn die Patienten fröhlich. Jeder kennt ihn, und jeder ist froh über die Abwechslung. Die meisten Patienten auf den oberen Etagen sind an ihr Bett oder einen Rollstuhl gefesselt. Alle sind Syrer. An den Wänden ihrer Krankenzimmer haben sie die syrische Revolutionsflagge gehisst.

Offiziell hält sich der Libanon aus dem Krieg in Syrien heraus. Auf gewisse Weise ist das Land jedoch noch stärker involviert als die Türkei, denn es mischt auf beiden Seiten mit: Die an der Regierung beteiligte Hisbollah möchte Baschar al-Assad Kämpfer schicken. Mitglieder der Opposition sollen den syrischen Rebellen Waffen liefern.

Auf welcher Seite man im Krankenhaus Dar al-Zahra steht, ist offensichtlich. Die Klinik schickt regelmäßig Pakete mit Medikamenten nach Syrien und ist zum Reha-Zentrum der Rebellenkämpfer aus Homs geworden.

« Wir haben hier hauptsächlich Amputationen », erklärt Dschad. Im obersten Stockwerk sitzen vier ehemaligen Rebellenkämpfer aus Homs in Rollstühlen zusammen. Im Zimmer nebenan liegt ein Zivilist aus Bab Amr, der weder Arme noch Beine bewegen kann. Ein Artilleriegeschoss traf sein Auto, als er gerade seine durch Granatsplitter verwundete dreijährige Tochter zum Arzt fahren wollte. Die Tochter starb.

« Ohne Spende keine Operation »

« Aktivisten und Rebellen bringen die Verwundeten an die Grenze. Dort findet die Erstversorgung statt », erklärt Dschad den üblichen Behandlungsweg. « Danach bringt das Rote Kreuz Patienten, die weiter behandelt werden müssen, zu uns nach Tripoli. » Anders als in der Türkei, wo die Regierung für die Behandlung der Syrer aufkommt, wird das libanesische Rebellen-Reha-Zentrum durch Spender finanziert. « Der wichtigste Spender ist der Syrische Nationalrat », sagt Dschad über den 2011 gegründeten Zusammenschluss oppositioneller Syrer, der inzwischen als Fassade der syrischen Muslimbrüderschaft gilt. « Wir bekommen auch Geld von der Qatar Foundation und von privaten Spendern ausSaudi-Arabien und Syrien. » Generell gilt: « Ohne Spende keine Operation », sagt Dschad.

 

Dschad betreut die Verletzten freiwillig. Er bekommt dafür kein Gehalt. Als Sohn einer wohlhabenden Familie aus Homs braucht er sich finanziell keine Sorgen zu machen. Er hätte wie die meisten seiner Freunde ausreisen und sich ein ruhiges Leben machen können. Doch er hörte davon, dass syrische Ärzte und Helfer im Krankenhaus Dar al-Zahra gesucht wurden und kam nach Tripoli. « Ich wusste, ich muss irgendetwas tun. Zum Kämpfen bin ich nicht mutig genug », sagt er. Im Libanon freundete er sich zum ersten Mal mit Syrern aus dem ärmlichen Homs-Stadtteil Bab Amr an. Die Rebellenkämpfer und er kommen aus unterschiedlichen sozialen Welten.

Immer wieder spielt Dschad mit dem Gedanken, nach Homs zurückzukehren. « Ich mache mir Vorwürfe, dass ich hier bin und nicht in Syrien. » Immer wieder jedoch verdrängt er die Idee. Es wäre lebensgefährlich zurückzukehren, gerade jetzt. In diesen Tagen führt die Assad-Armee eine erneute Offensive gegen die Rebellen in Homs durch. Beobachter rechnen damit, dass es den Assad-Truppen gelingen wird, die Kontrolle über die Stadt wieder herzustellen – vorerst. Von einigen Stadtvierteln in Homs sind kaum mehr als Trümmerzüge übrig.

source : http://www.spiegel.de/politik/ausland/im-libanon-behandeln-syrische-aerzte-rebellen-und-zivilisten-a-860563.html