Theaterdonner und Gemeinschaftssinn – von Ferdinand Dürr
Jeden Tag fallen in Aleppo tödliche Bomben, die Stadt ist in verschiedene Herrschaftsbereiche unterteilt: Das Assad-Regime kontrolliert den Westen der Stadt, verschiedene Rebellengruppen halten den Osten, oft nebeneinander, manchmal gegeneinander. Inmitten des täglichen Kämpfens und Tötens in der nordsyrischen Metropole arbeitet die Theatergruppe „Breadway“ gerade an ihrem zweiten Stück. Zentrale Botschaft: Eine Lösung für Syrien kann es nur gemeinsam geben, nicht gegeneinander. Wir haben den 30-jährigen Aktivisten und Schauspieler Yousef Mousa gebeten, über die Theatergruppe und ihre Arbeit zu berichten.
Natürlich ist unsere Arbeit Widerstand, denn wir widersetzen uns der Realität. Mal ehrlich, wer würde in so einer Stadt im Kriegszustand sonst Theater spielen? Aber hier läuft alles so falsch, alle kämpfen gegeneinander, kaum jemand hat die Gemeinschaft im Sinn. Unsere Theatergruppe versucht zu einer Verständigung der vielen verschiedenen Gruppen und Parteien der Opposition beizutragen. In New York ist die Gemeinsamkeit, dass alle auf dem Broadway spielen, aber für uns SyrerInnen ist der Broadway nicht erreichbar. Wir nennen uns „Breadway“, denn immerhin beim Anstehen um Brot und hoffentlich bei uns, kommen alle Menschen aus Aleppo zusammen.
Spielen, proben und auftreten können wir nur in den von oppositionellen Gruppen kontrollierten Gebieten. Wo das Assad-Regime herrscht, ist es weder möglich, Kritik zu üben, noch im Theater die eigene Meinung zu sagen. Dabei wollen wir alle anregen, die eigene Meinung zu vertreten und müssen deshalb auch immer fürchten, dass unsere Vorstellungen Ziel von Bombenangriffen werden. Zu den Vorstellungen laden wir deshalb nie direkt ein, denn auch hier im oppositionellen Osten von Aleppo gibt es Spitzel. Statt direkt zur Spielstätte laden wir immer zu Treffpunkten ein, von denen das Publikum dann abgeholt wird. Wer zu spät ist oder nicht kommen kann, etwa die vielen Flüchtlinge ob im Inland oder auch in Europa, kann sich dann später die Videoaufzeichnung der Aufführungen anschauen (Link zum Stück „Läden“). So erreichen wir noch viel mehr Menschen und tragen mit unseren Stücken zu einem gesamtsyrischen politischen Diskurs bei.
Wir treten auf vielen verschiedenen, vor allem auf improvisierten Bühnen auf, denn die Theater der Stadt sind alle zerstört. Aber wir nutzen die Bühnen in Schulen, manchmal zimmern wir die Bühnen selbst, die Requisiten sind ohnehin selbst gebaut. Doch oft treten wir auch spontan im Straßenbild auf und spielen einfach unsere Stücke und Performances. Zum Beispiel letztes Jahr zu Silvester, als wir vor verschiedenen Gefängnissen aufgetreten sind, und singend die Freilassung von politischen Gefangenen verlangt haben – vom Regime genauso wie von den Oppositionellen.
Gerade stehen wir kurz vor der Aufführung unseres zweiten großen Stücks, das „Arabisches Fest der Freiheit“ heißt. Ich will nicht zu viel verraten, aber es geht natürlich darum, was nach fünf Jahren aus dem Arabischen Frühling geworden ist – und was an Lehren noch gezogen werden muss. Zum Beispiel, dass sich die Gegner von Diktatur und Dschihadismus nicht gegeneinander ausspielen lassen dürfen. Denn eins der zentralen Probleme hier in Aleppo und in ganz Syrien ist, dass die Opposition nicht zusammenarbeitet.
Dass angesichts der täglichen Fassbomben alle in Aleppo Angst haben, liegt wohl auf der Hand. Ich habe für mich aber auch gelernt, dass ich mich nicht von hier vertreiben lasse. Und so geht es fast allen, die noch hier leben. Die Bedingungen sind zwar hart, aber dennoch geht das Leben weiter – und für mich ist kritisches Theater einfach ein Bestandteil davon!