“Transtion Road Map” für Syrien, die plötzliche Liebe für KurdInnen, Hilfsarbeit als revolutionärer Akt, und Angst als “menschliche Gerechtigkeit”? – Netzschau vom 18. August – von Ansar
Ein von den internationalen Medien wenig beachtetes Treffen fand vergangenen Mittwochin Istanbul statt. Hier trafen sich AktivistInnen und Oppositionelle des „Syrian Expert House“ und stellten die „Transition Road Map“ für „einen demokratischen Übergang in Syrien“ vor. Als essential für diesen Schritt und der Erlangung von Legitimität wird die Rückkehr zur Verfassung von 1950 angesehen. In der Begründung heißt es: „[It] is the only constitution in Syrian history that was drafted and approved by a Constitutional Assembly. It also has received popular support, despite the presence of some controversial articles regarding minorities and freedom of expression.”
„Die plötzliche Liebe für KurdenInnen seitens Iran und Russland ist befremdlich“, konstatiert Wladimir van Wilgenburg in der in Erbil veröffentlichten Rudaw. Sowohl iranische als auch russische Medien haben demnach gefälschte Fotos und Videos benutzt, um das (tatsächlich stattfindende) Töten von syrischen KurdenInnen darzustellen. „Teheran und Moskau haben sich nicht für den Tod von SunnitenInnen in Syrien interessiert, warum also dieses plötzliche Interesse für den Tod von KurdeInnen?“, fragt er. Al-Kaida habe zuvor KurdenInnen und viele andere Zivilisten in Syrien als auch in anderen Ländern getötet, nie habe das jedoch viel Empören in Teheran oder Moskau gefunden. Die USA in ihrer Unterstützung für die syrischen Rebellen zu verunsichern, sei ein Grund. Ein anderer liege darin, dass Al-Kaidas Stärke in Syrien, Asads Anspruch auf Faktor von Stabilität untermauern würde. Daher die plötzliche Liebe für die KurdInnen, so Wilgenburg.
Das oppositionelle Nachrichtenportal Zaman Wasal beschäftigt sich mit dem Bekennervideo der jüngsten Anschläge in Südbeiruts Stadtviertel, al-Dahiyya. Das Video suggeriert, dass es sich um eine islamistische Gruppe der syrischen Opposition handele, welche mit dem Anschlag vor allem die Hisbollah hätte bedrohen wollen als Reaktion auf deren kämpferische Teilnahme in Syrien. So sei im Hintergrund des Videos eine Flagge mit der Aufschrift „Allahu Akbar“ zu sehen. Zaman Wasal bezweifelt allerdings die Echtheit des Videos. Zum einen sei die Flagge weiß, welches Frieden im Islam signifiziere und somit in Jihadisten-Kreisen nicht in Kriegszeiten genutzt wird (eine schwarze Flagge mit weißer Aufschrift ist die Flagge, die einen Kriegszustand anzeigen soll). Außerdem tragen die Bekenner kurze Hemden und Jeans, ein nicht nur untypischer, sondern verpönter Kleidungsstil unter Jihadisten. Hinzu kommt, dass einer der Männer auf dem Video einen angeblich goldenen Ring trägt. Das Tragen von Gold jedoch sei „Männern des Islams“ verboten, erklärt Zaman Wasal.
„Hilfsarbeit ist revolutionär, wenn es Gemeinden hilft, sich zu behaupten und das Projekt der Befreiung aufrechtzuerhalten“, urteilt Ewa Jasiewicz, die Arbeit der syrischen Hilfsorganisation Basmet Amal im Nordwesten Syriens betrachtend. Ihre Arbeit sei wichtig um die Loyalität der SyrerInnen zu gewinnen. Die Liste erfolgreicher Projekte der Organisation ist lang: der Bau einer Grundschule, neue Schulbücher (ohne Glorifizierung der Asad-Familie), ein Supermarkt mit billigen Produkten (um der lokalen Überinflation entgegenzutreten), Verteilung von Hilfspaketen mit Mehrl, Öl, Trockenmilch, Bohnen etc., die Unterstützung von Witwen durch Zahlungen von 500 Syrischen Pound, gerade wird zudem eine Shampoo und Seifenfabrik gebaut etc.
Dima Wanus, die Tochter des international bekannten, 1997 verstorbenen, syrischen Theaterautors Saadallah Wanus, verteidigt in einem sehr kontrovers diskutierten Artikel inal-Modon, den Angriff von anti-Asad KämpferInnen der Freien Syrischen Armee (FSA) auf Dörfer der syrischen Küste, insbesondere um al-Qardaha herum. Wanus stellt besonders heraus, dass die Bewohner dieser Gegend etwas kennenlernen, was der Rest der Syrer schon seit 2 ½ Jahren spürt: Angst. „Wie kann man ein Heimatland (Watan) teilen, wenn man nicht zunächst nicht wenigstens auch die Angst teilt?“, fragt Wanus. Die einzige Weise auf welcher die BewohnerInnen bisher eine wage Angst vermittelt bekommen haben, ist der Rückkehr ihrer Kinder (aus dem Kampf) nach Hause gewesen. Das Geräusch von Beschuss und Rauchschwaden ist jedoch eine direkte Angst mit welcher der Rest Syriens täglich zu Kämpfen habe. Die KüstenbewohnerInnen kennen den Krieg nur „von hinter dem Fernsehbildschirm“. „Sie haben nicht die Dimensionen von Angst erlebt, welche die Bevölkerung von Rif Damaskus, Homs, Halab, Idlib, Raqqa oder Deir az-Zor erleben“, so Wanus. Die Küste sei wie immer von der Realität abgeschnitten: von Tod, zerstörten Städten, Gruppenmassakern etc. Die KüstenbewohnerInnen täten das, was das Regime ihnen in 40 Jahren nicht gewährte: nicht nur absolute Loyalität, sondern sie übergeben ihm auch ihre Söhne. „Habt Angst wie SyrerInnen“ lautet Wanus Aufruf. Die Zeit der Angst sei gekommen, „ich bin nicht schadenfreudig […] und es geht auch nicht um Rache, sondern um menschliche Gerechtigkeit“, so Wanus. Auf pro-Regime-Seiten wurde der Artikel stark kritisiert und aber auch behauptet, dass Wanus das Verlangen nach dem totalen Zusammenbruch der Küstenregion habe. Wanus wurde daraufhin auch stark von Familienmitgliedern angegriffen und bedroht. Ihr wurde Verrat an ihrer eigenen alawitischen Identität vorgeworfen. Dies zeigt, dass alawitische RegimegegnerInnen wegen ihres Engagements oft aus ihren Familien und Gemeinden ausgeschlossen werden.
Eine App als Raketenwarnsystem haben nun syrische AktivistInnen erfunden, berichtetSpiegel Online. Der Erfinder sei selber mehrere Jahre Offizier im syrischen Militär gewesen und wisse deswegen genau, welche Art von Raketen die syrische Artillerie habe. Wisse man, von wo die Raketen in welche Richtung geschickt wurde, könne man somit ziemlich genau berechnen, in welcher Gegend diese Einschlagen wird. Die NutzerInnen der App müssen Wohnort und Telefonnummer auf der Internetseite „Aymta“ hinterlassen und bekämen im Gefahrenfall ggf. einen Hinweis, ihre Wohnungen zu verlassen- meist haben sie dann nur wenige Minuten Zeit, bevor die Rakete tatsächlich einschlägt.
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