Was kann der Westen in Syrien noch tun?
(Que peut faire l’Occident encore en Syrie ?)
Das Massaker von Hula markiert einen Tiefpunkt im syrischen Bürgerkrieg. Der Westen muss handeln. Aber wie? M. Horeld und K. Polke-Majewski stritten darüber via Chat.
Der Bürgerkrieg in Syrien hat mit dem Massaker von Hula eine neue Dimension erreicht. 109 Menschen wurden in dem Dorf ermordet, unter ihnen 49 Kinder. Die internationale Gemeinschaft reagiert betroffen – und ratlos. Was ist zu tun? Darf man weiter zuschauen? Einfache Antworten darauf gibt es nicht, überall wird debattiert und gestritten. So auch in der Redaktion von ZEIT ONLINE. Ganz ungeplant entspann sich im Chat zwischen unseren beiden Standorten Berlin und Hamburg, zwischen Politikressortleiter Markus Horeld und dem stellvertretenden Chefredakteur Karsten Polke-Majewski, eine heftige Diskussion über das, was in Syrien möglich ist und was nicht.
Karsten Polke-Majewski (kpm): Ich finde, dass die UN-Beobachtermission jetzt schnell ausgeweitet werden muss. Die UN-Resolution 2043 erlaubt 300 Beobachter. Bislang sind aber viel weniger im Land. Angenommen, tausend oder mehr UN-Beobachter dokumentierten, was dort geschieht: Könnte das nicht zumindest die Eskalation der Gewalt bremsen?
Markus Horeld (mh): Einer solchen Aufstockung würde Syriens Präsident Assad nicht zustimmen. Und ohne Erlaubnis geht es nicht.
kpm: Ja, diese Gefahr besteht. Trotzdem: Die UN müssen in Syrien viel sichtbarer auftreten. Das fordert auch der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig. Jetzt kommen die Beobachter nicht einmal schnell von einem Ort zum anderen, weil Flugkapazitäten fehlen. Die UN müssen aber deutlich machen: Unbeobachtet tut hier niemand mehr etwas.
mh: In Syrien herrscht Krieg. Im Krieg ist es den beteiligten Parteien meistens egal, ob und wer in der Welt irgendetwas davon mitbekommt. Denjenigen, die das Massaker von Hula zu verantworten haben, war sicher bewusst, dass dies nicht geheim bleibt. Mit mehr Beobachtern droht das Bosnien-Phänomen: Viele Blauhelme – und die Kriegsparteien machen trotzdem, was sie wollen.
kpm: Trotzdem stellt sich die Frage, welcher Schritt jetzt noch folgen kann. Mit der Ausweisung der syrischen Botschafter haben die westlichen Staaten schon zur schärfsten diplomatischen Waffe gegriffen. Auch der « Jemen-Plan » (Anm.: Rücktritt des Präsidenten, schrittweise Übergabe der Macht), den Westerwelle propagiert, ist doch für Syrien keine wirkliche Option. Der funktioniert ja nicht einmal im Jemen.
mh: Stimmt, Assad hat keinen Grund zurückzutreten. Selbst wenn er es täte, würde das die alawitische Elite nicht stören. Sie braucht Assad nicht. Er ist bloß ihre Marionette. Deshalb lehnt die Opposition ja auch einen Machtwechsel innerhalb des bestehenden Systems ab. Was man tun kann? Ich bin ratlos. Eigentlich müsste der Westen militärisch eingreifen. Aber eine Militärintervention mit UN-Mandat, wie sie Frankreichs Staatspräsident François Hollande gefordert hat, wird es nicht geben. Da sind Russland und China vor.
kpm: So sicher wäre ich mir da nicht mehr. Immerhin hat US-Außenministerin Hillary Clinton am Donnerstag gedroht, auch ohne UN-Mandat zu handeln.
mh: Mag ja sein, dass Clinton die rhetorischen Waffen klirren lässt. Nur ist eine Intervention militärisch nicht drin. Wer soll das denn machen? Die Nato war mangels Bereitschaft ihrer Mitglieder doch schon in Libyen an ihrer Grenze. Ihr ging fast die Munition aus! Ein Einsatz in Syrien wäre viel härter, Assads Truppen sind viel besser bewaffnet. Und die Kämpfe mit den Aufständischen finden in Städten statt, nicht in dünn besiedeltem Gebiet. Da kann man nicht einfach Bomben vom Flugzeug abwerfen. Außerdem hat die FSA (Anm. d. Red.: Freie Syrische Armee) viel zu wenig Soldaten, um Terrain gutzumachen. Das hieße dann: Nato-Bodentruppen. Ein richtig böser Krieg mit vielen Toten. Kein Nato-Land würde dafür Soldaten stellen.
kpm: Zumal der Iran Assad dann zu Hilfe eilt. Man stelle sich das mal vor:Nato-Soldaten stehen plötzlich iranischen Truppen gegenüber.
mh: Die totale Eskalation. Aber dazu kommt es nicht. Die einzigen realistischen Möglichkeiten, die es jetzt noch gibt, sind Waffenlieferungen an die Rebellen. Oder die alte Idee mit der Schutzzone. Auch das wäre sehr heikel, aber nicht so krass wie eine richtige Intervention.
kpm: Das kannst du so nicht sagen. Schutzzonen einzurichten wird ja schon ewig diskutiert. Aber im Gegensatz zu Libyen, wo das Land in einen befreiten Osten und Gaddafis Westen zerfiel, gibt es im Syrien keine größeren befreiten Zonen. Was soll der Westen da schützen? Die einzig vorstellbare Region wäre das Grenzgebiet zur Türkei.
mh: Genau.
kpm: Das sagt sich so einfach. Doch wenn Türken oder Amerikaner dort eine Schutzzone einrichten, werden sie unmittelbar zur Kriegspartei. Denn die Rebellen werden die Zone natürlich als Aufmarsch- und Formierungsgebiet nutzen. Das könnte Assads Truppen so provozieren, dass sie die Zone sofort angreifen. Dann haben wir doch den großen Krieg. Den bedrohten Menschen im Land hilft es dagegen wenig. Wie sollen sie denn dort hinkommen? Im schlimmsten Fall werden viele Menschen fliehen müssen.
mh: Ich glaube nicht, dass es Assad wagen würde, eine gut gesicherte Schutzzone anzugreifen. Es müsste halt ein kleines, relativ gut zu kontrollierendes Gebiet sein. Militärisch wäre das zu schaffen. Aber US-Präsident Obama steht mitten im Wahlkampf. Der lässt sich nur darauf ein, wenn es eine klare Zustimmung seiner Bevölkerung gibt. Eher unwahrscheinlich.
kpm: Eben. Dein Vorschlag, Waffen an die Rebellen zu liefern, forciert übrigens ebenfalls die Eskalation der Gewalt. So war es auch in Libyen. Deutschland wäre es nach eigenem Recht sogar verboten, Waffen zu schicken. Gibt es denn gar keine diplomatischen Schritte mehr, die helfen könnten?
mh: Eher nicht, fürchte ich. Höchstens, wenn sich Dinge wie in Hula so oft wiederholen, dass Russland nicht mehr mitmacht. Aber selbst dann: Was könnte der Sicherheitsrat noch beschließen?
kpm: Gute Frage. Wolfgang Bauer, der Syrien schon im vergangenen Jahr als Reporter bereiste, argumentiert in der aktuellen Ausgabe der ZEIT, wenn der Westen weiterhin so defensiv handle, werde der ganze Nahe Osten destabilisiert. Denn die freien Syrer werden jede Hilfe annehmen, die sie bekommen können. Wenn nicht vom Westen, dann eben von Saudi-Arabien, Al-Kaida oder anderen Islamisten. Sein Vorschlag: Der Westen soll wenigstens eine Seeblockade und ein Waffenembargo durchsetzen.
mh: Auch ein Waffenembargo braucht ein UN-Mandat. Ob Russland da mitmacht? Verdiente ja zuletzt ganz gut an Syrien.
kpm: Angesichts des Massakers könnte Russland der Allianz diese Maßnahme wohl schlecht verwehren.
mh: Bleibt das Problem, dass eine Seeblockade und ein Waffenembargo auch die Rebellen treffen würde, schon rein rechtlich. Die würden viel schneller darunter leiden als das Assad-Regime.
kpm: Ach was, die Rebellen würden wohl kaum über die See versorgt. Dafür sind ihre Gruppen viel zu sehr im Land versprengt. Das müsste eher aus der Luft geschehen oder über Schleichwege. Saudi-Arabien und Katar liefern doch jetzt schon panzerbrechende Waffen.
mh: Trotzdem wird ihnen das nicht helfen. Ich glaube nämlich, dass Assad noch sehr, sehr gut bewaffnet ist. Und der Westen ist zum Zuschauen verdammt, weil er nach Afghanistan und Libyen mutlos in Sachen Interventionen geworden ist.
kpm: Also in Ohnmacht verharren? Das allerdings wäre sehr schwer zu ertragen angesichts des Massakers in Hula und all der anderen schlimmen Dinge, die in den vergangenen Monaten geschehen sind.
mh: Vielleicht lassen sich ja noch irgendwelche Geldhähne des Regimes zudrehen. Aber das war’s dann auch. Ganz ehrlich? Ich denke, dass Assad und seine Hintermänner diesen Krieg gewinnen werden. Die Opposition ist zu schwach und nicht genug organisiert. Der Westen weiß gar nicht, wen genau er unterstützen soll. Und es fehlt ihm die Kraft.
kpm: Etwas Hoffnung habe ich noch. Vielleicht will Putin als russischer Staatspräsident doch nicht der Achse des Bösen beitreten und macht schließlich seinen Einfluss auf das Assad-Regime geltend. Oder die Stimmung im Lande dreht sich weiter und noch mehr Militärs desertieren. Oder die Elite zerstreitet sich. Aber zugegeben: Viel ist das nicht.
Source : http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-06/syrien-buergerkrieg-gewalt/seite-3